Wir sind das Volk - muß das sein?

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Flugblatt einer Gruppe von ACT!, verteilt auf den beginnenden Montags-Demos im August 2004

Abbau und Umbau von Sozialstaat sind nichts neues. Die gab es schon unter Schmidt und unter Kohl. Sozialhilfe gegen Zwangsarbeit gibt's auch schon länger - bisher beschränkt auf gemeinnützige Einrichtungen. Jetzt brechen SPD und Grüne grundsätzlich mit den Prinzipien sozialer Sicherheit: Mit der „Agenda 2010“. Praxisgebühr, Ausgliederung des Zahnersatzes, Rentenprivatisierung usw. – alles vor allem verdeckte Lohnsenkungen: Intensivierung von Verwertung. Schon lange nicht mehr finanzieren Unternehmen und Arbeitende den Sozialstaat gemeinsam und anteilsgleich.

Hartz IV zeigt jetzt einfach nur deutlicher, wohin Deutschland steuert: Statt Arbeitslosenhilfe jetzt Arbeitslosengeld II. Das heißt Sozialhilfe zu verschärften Bedingungen. Die soll das physische Überleben sichern, und nicht mehr. Und das auch nur, wenn wir bereit sind, unsere Arbeitskraft noch zu den schlechtesten Bedingungen auf den Markt zu werfen. Damit künftig jeder Unternehmer von den neuen Dumpinglöhnen profitieren kann. Die Folge: ein gesellschaftsfähiger Niedriglohnsektor und Armut trotz Vollzeitjob – jetzt auch für die Deutschen. Männer werden auch bei gleicher Arbeit immer noch mehr verdienen als Frauen. Daher rutschen eher Frauen in die Abhängigkeit ihrer besserverdienenden Männer als umgekehrt. Wo gender mainstreaming draufsteht, ist noch lange keins drin. Und Migranten, oft schon illegalisiert aufgrund ihres bloßen Hierseinwollens, kriegen den stärksten Druck: Lohndumping plus Abschiebeterror.

Aber warum sollen ausgerechnet jetzt die Menschen ihren Lebensstandard senken – und sparen, sparen, sparen? Trotz gestiegener Produktivität in Deutschland? Trotz Exportboom? Trotz Privatvermögen, die die Schulden der öffentlichen Hand weit übersteigen? Trotz großen materiellen Reichtums? Es heißt, der Staat könne sich das Sozialsystem nicht länger leisten. Es heißt, Deutschland habe lange genug über seine Verhältnisse gelebt. Für alle gilt dies jedoch nicht: der Spitzensteuersatz zum Beispiel fällt auf 42 Prozent. Einem Einkommensmillionär würden damit 30.000 Euro Steuer im Jahr geschenkt.

Wegen der Kaufkraft, argumentiert die Regierung. Uns fällt auf: Erhöhe bei 30 Arbeitslosen die monatlichen Zahlungen um etwa 80 Euro statt sie zu senken, und du kommst auch auf 30.000 Euro. Mit dem Unterschied, dass letztere das Geld auch wirklich ausgeben.

Ums Sparen geht’s also wohl doch nicht. Es wird umverteilt von arm nach reich. „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“ heißt eigentlich: „Ihr müßt den Gürtel enger schnallen“. Nicht dass es ›dem Volk‹ gut geht, sondern dass seine Arbeitskraft billiger zur Verfügung steht - darum geht es. Denn nur mit niedrigeren Löhnen können die Firmen, die in diesem Land auf Arbeitskraft angewiesen sind, im globalen, kapitalistischen Wettbewerb die Führung halten.

Wir arbeiten nicht, um uns ein schönes Leben zu schaffen, sondern wir sollen unsere Arbeitskraft immer billiger verkaufen, um dem Standort Deutschland zu dienen. Das ist ein großer Unterschied. Profitieren werden die Mächtigen und die Eigentümer an den Produktionsmitteln. Die, die arbeiten lassen. Die, die von ihren polizeilich gesicherten Staatsämtern aus dafür sorgen, dass alles reibungslos vonstatten geht. Und jene intellektuellen Funktionäre in den Medien, die uns zu erklären versuchen, warum das alles so sein muss und für alle gut so ist.

Wer aber glaubt, es werde zum Wohle der Menschen sein, wenn der Standort Deutschland nur blüht, der geht dem Standortnationalismus auf den Leim. Die Vertreter von Staat und Wirtschaft wissen es besser: Die Menschen sind ihnen nur Mittel zum Zweck, zum Profitzweck, zum Verwertungszweck. Sie werden benutzt, um den Erfordernissen kapitalistischer Konkurrenz gerecht zu werden.

Weg mit Hartz IV kann deshalb nur heißen: weg mit Standortkonkurrenz und Nationalismus. Denn Standortwettbewerb heißt ja gerade Sozialabbau plus Lohndumping. Kapitalismus läßt sich nicht reformieren. Wir wollen nicht mehr Volk sein, das für die Zwecke von Staat und Kapital zu arbeiten hat. Wer arbeiten will, soll ruhig dürfen - aber nicht umsonst und für Deutschland, sondern immer weniger und für ein schönes Leben.

Her mit dem schönen Leben und zwar für alle!