Wo war die Mayday-Parade? Offene Diskussion im Görlitzer Park
Wo sind all die Sprechblasen hin?
Seit 2001 gibt es in vielen Städten Europas und darüber hinaus Mayday-Paraden gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse.
Auch Berlin hat sich nach vier Jahren daran gewöhnt, dass am 1. Mai eine vielfältige Menschenmenge mit Forderungen nach einem schönen Leben auf Sprechblasen-Pappschildern durch die Stadt demonstriert. Doch dieses Jahr gab es keine Parade. Das Berliner Mayday-Bündnis hatte befürchtet, dass der Mayday zum Ritual erstarrt, daher hatte man sich im Frühjahr gegen eine Parade im Jahr 2010 entschieden.
In den letzten Jahren ist Prekarisierung und die damit verbundene Flexibilisierung und Entsicherung für viele zu einem Begriff geworden; dazu haben nicht zuletzt auch die Mayday-Paraden beigetragen. Sie stehen in der Tradition des zapatistischen Fragend-schreiten-wir-voran und waren immer durch Experimente geprägt. Mit Form (bunte und offene Parade) und Inhalt (Fragen statt vorschnellen Antworten) wurde darauf Wert gelegt, dass alle TeilnehmerInnen ihr (Über-)Leben im Kapitalismus thematisieren können – in einem kollektiven Rahmen, aber ohne die unterschiedlichen Realitäten zu vereinheitlichen. Die dahinter stehende Idee: Prekarisierung hat viele Gesichter, die sich nur schwer unter einem einzigen Slogan oder einer Widerstandsform
zusammenfassen lassen.
Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die verschiedenen Aspekte von (unserer) Prekarisierung nun noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Vor einigen Wochen hat die Berliner Gruppe FelS daher mit einem langfristigen Befragungsexperiment am Jobcenter Neukölln begonnen. Egal, ob als Niedriglohn-Aufstockerin, erwerbsloser Uni-Absolvent oder prekäre Existenzgründerin: An diesem Ort kommen viele verschiedene Menschen zusammen, die alle ähnliche Probleme haben. Mit der aktivierenden Befragung suchen wir nach Wegen, dem dort ausgeübten Druck gemeinsam Paroli zu bieten, bestehende Widerstände zu vernetzen und Formen der Organisierung zu erproben.
Außerdem wollen wir nun aber auch mit allen jenen ins Gespräch kommen, denen dieses Jahr ohne Mayday-Parade etwas gefehlt hat. Die Paraden der letzten Jahre haben vielen Teilnehmenden
gezeigt, dass sie nicht alleine sind und Mut gemacht, sich gegen die Prekarisierung und Vereinzelung im Alltag zu wehren.
Statt auf der Parade nebeneinander her zu laufen, möchten wir dieses Jahr drei Wochen nach dem 1. Mai gemeinsam mit euch unter freiem Himmel diskutieren. Wo sind die neuen Orte, an denen Prekarisierung (an)greifbar wird? Wie können wir diese Orte vernetzen
und wie lassen sich die geführten Kämpfe zusammen denken? Wer unterstützt unsere oftmals vereinzelten Arbeitskämpfe? Ist der Freundeskreis die Gewerkschaft der Prekären? Wie streike ich als Ich-AG? Wie können wir das unsichtbare Nebeneinander überwinden?
Und wie sieht eigentlich der Mayday der Zukunft aus?
Ab jetzt seid ihr an der Reihe: Kommt vorbei, bringt euch ein und startet mit uns das Mayday-Labor!
PS. Einen ausführlichen Text der Gruppe FelS zu den Mayday-Paraden findet sich in der nächsten arranca! und unter http://fels-berlin.de/lab
22.MAI // 16:00
Pamukkale-Brunnen-Ruine im Görlitzer Park (gegenüber vom ehem. Bahnhof)
Anhang | Größe |
---|---|
mayday_pamukkale.pdf | 42.79 KB |