BKA wegtreten! Verfassungsschutz auflösen!
Mit Sicherheit nicht schlecht: Soziale Rechte weltweit erkämpfen!
Es ist schon bitter, wenn man sich inzwischen über die Umsetzung geltenden Rechts freuen muss. Mit der Entscheidung des Bundesgerichthofs (BGH) von voriger Woche, nach der die Anschläge der "Militanten Gruppe" (mg) nicht nach der aktuellen Fassung des §129a verfolgt werden können, ist ein Teilerfolg errungen. Die Haftbefehle gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. mussten augesetzt werden. Die Solidaritätsarbeit war erfolgreich! Nach den ersten Wochen war nicht zu erwarten, dass der öffentliche Druck groß genug sein würde, um die Anschuldigung nach §129a zu kippen. Die Konzentration auf den "Terrorparagrafen" §129a und eine breite Öffentlichkeitsarbeit war richtig und effektiv. Erst diese hat die durch das BGH formulierte Auslegung ermöglicht. Der öffentliche Druck war groß genug, dass der Kompromiss, den Rot-Grün bei der Reform des Paragrafen 129a formulierte, nicht im Sinne von sicherheitspolitischen Hardlinern ausgelegt wurde. Die geradezu irrsinnige Praxis der Verfolgungsbehörden, die mit zur breiten Solidarisierung beitrug, und die politische Ausrichtung des zuständigen Strafsenats taten den Rest.
Aber nach wie vor gilt: Paragraf 129, 129a etc. abschaffen! Plus: BKA wegtreten und Verfassungsschutz auflösen!
Der Teilerfolg bleibt jedoch ambivalent: Die Betroffenen wurden aufgrund der Sonderhaftbedingungen und den Folgen der Überwachung nachdrücklich und gezielt geschädigt. Des Weiteren wird das Verfahren nach §129 weitergeführt, statt lediglich wegen versuchter Sachbeschädigung. Mit dem BGH-Urteil und der Verfolgung nach §129 hat sich zwar der Spielraum verändert, die Logik bleibt die gleiche. Der Paragraf kommt aus der gleichen Tradition wie der §129a. Das zeigt nicht zuletzt ein Blick auf die Geschichte der Verfolgung der KPD, von Teilen der Frauenbewegung und der Häuserkämpfe im Rahmen dieses Gesinnungsparagrafen: Er macht es möglich, Lücken in der Beweisführung mittels unterstellter kollektiver Willensbildung und Handlungsfähigkeit zu überbrücken und ermöglicht ohne den Grundsatz der Unschuldsvermutung zu ermitteln, zu konstruieren und schließlich zu kriminalisieren. Schon allein deswegen ist klar: Alle Verfahren gegen vermeintliche mg-Mitglieder sowie alle weiteren 129a-Verfahren gegen linke AktivistInnen und AntimilitaristInnen müssen sofort eingestellt werden!
Im Rahmen der Repression und Überwachungsmaßnahmen in allen laufenden Verfahren nach §129a ist eine unüberschaubare Masse an Daten und Informationen über linke und alternative Strukturen gesammelt worden. Auffällig ist in allen Verfahren die Initiative des Verfassungsschutzes, der das BKA mit Informationen versorgt und vor sich her treibt. Dies zeigt erneut, wie geheimdienstliche Strukturen selbst rechtsstaatliche Verfahren systematisch aushebeln und unterminieren. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst aufgrund der historischen Erfahrungen im Nationalsozialismus wird zunehmend aufgelöst. Die Vorkommnisse der letzten Monate haben ein weiteres Mal gezeigt, dass es in Deutschland nicht selbstverständlich möglich ist, über Emanzipation und die adäquaten Mittel zu streiten, sich zu assoziieren und politischen Widerstand und Gegenmacht zu organisieren. Die politisch richtige Forderung bleibt deshalb die Auflösung des Verfassungsschutzes!
Ebenso skandalös ist die Praxis der RichterInnen, die immer wieder die weitreichenden Durchsuchungs- und Überwachungsmaßnahmen seit dem 9. Mai - und auch schon davor - abgesegnet haben. Auch hier hat sich eine juristische Praxis eingeschliffen, die selbst den eigenen Anspruch des deutschen Rechtsstaates Lügen straft. RichterInnen unterschreiben eben, was ihnen vorgelegt wird. Auch wenn die Vorwürfe noch so grotesk sind und Menschen unter Sonderbedingungen für Wochen im Knast verschwinden!
Auch vor dem Hintergrund weiterer rechtlicher und politischer Verschärfungen bleibt das Urteil des BGH mehr als ambivalent: Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde beschlossen, die Paragrafen 129 c und 129 d (Verfolgung von "Terror-Vorbereitungen" und Einzeltätern) sind geplant und die Landesinnenminister wollen die Werbung für terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe stellen. Innenminister Schäuble macht mit ständigen Tabubrüchen Politik und treibt neben der Online-Durchsuchung die autoritäre und präventive Ausrichtung der Sicherheitspolitik voran. Wie außer Rand und Band das BKA inzwischen ermittelt, zeigen die Überwachung von JournalistInnen und die Kontrolle der Post bei vier Tageszeitungen.
Und die jüngsten Razzien bei Mitgliedern der türkisch/kurdischen TKP/ML im Rahmen des rassistischen §129b (Verfolgung ausländischer krimineller oder terroristischer Vereinigungen) in mehren deutschen Großstädten zeigen, dass die Behörden nach ihrer Niederlage im "mg-Verfahren" die Repression gegen Linke keineswegs einschränken werden. Auch der §129b muss weg!
Trotz der Entscheidung des BGH - keine Entwarnung!
Fast nie meinen die politischen Eliten mit "Sicherheit" einen gesellschaftlichen Zustand, der es allen Menschen ermöglicht ein gutes Leben zu führen. Ihre Strategie und ihr Angebot reduziert sich auf ein Sicherheitsangebot von Kameraüberwachung über Fingerabdruck-Pässe bis zu Tornado-Abfangjägern. Diese innere Aufrüstung wird mit einer vermeintlichen Terrorgefahr und durch tagtäglich geschürte Panikmache legitimiert und bedeutet für uns weit reichende Einschränkung von Bürgerrechten, Abbau von rechtsstaatlichen Standards und Zerschlagung sozialer Sicherungen und Errungenschaften. Nach der tendenziellen Stilllegung der Klassenkämpfe und den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen durch soziale Zugeständnisse bis in die 1970er Jahre, folgt nun die Strategie der autoritären Einbindung und der Individualisierung. In der Arbeitsagentur werden neuerdings KundInnen verwaltet und zu Verrenkungen jedweder Art aufgefordert, von Zeiten in denen BürgerInnen Rechte und Ansprüche geltend machen konnten ist nicht mehr viel geblieben, stattdessen halten marktkonforme Leitbilder Einzug in immer mehr gesellschaftliche Bereiche. Sicher ist vielen hierbei nur die tagtägliche Gewissheit unter prekären Verhältnissen leben zu müssen.
Zur Demonstration gegen diese autoritäre Formierung, die Vorratsdatenspeicherung und Paragraf 129a am 22. September haben wir es schon zusammen mit den anderen Gruppen des Berliner MayDay-Vorbereitungskreises als Motto vor uns hergetragen und wir wiederholen uns gerne: Mit Sicherheit nicht schlecht - Globale soziale Rechte statt Überwachungsstaat! Denn solange nicht alle ökonomisch unabhängig sind, sich ohne Passkontrollen frei bewegen können, ohne Angst vor Praxisgebühr und Kostenfalle zur Ärztin gehen können, etc. solange ist der Weg in eine emanzipierte Gesellschaft nicht in Sicht. Um sich von den Maßnahmen der Herrschenden nicht fortwährend in die Ecke drängen zu lassen und sich in Abwehrkämpfen zu verlieren, ist es nach wie vor nötig, linke Politik mit der Perspektive einer besseren Welt zu verknüpfen: Für ein schönes und selbst bestimmtes Leben jenseits von Angst und Kontrolle! Globale soziale Rechte weltweit erkämpfen!
FelS, Dezember 2007
Solidarität in Form von Geldspenden ist weiterhin bitter nötig: Neben mehreren tausend Euro Anwaltskosten, Verdienstausfällen von mehreren Monaten, den Kosten der alltäglichen Unterstützungsarbeit, legten die BGH-Richter nun eine Kaution von 90 000 € fest. Deshalb wird nach wie vor dazu aufgerufen, zur Unterstützung der Betroffenen zu spenden. Die Kontonummern finden sich auf http://einstellung.so36.net