»Hexogen« dichtmachen! Schöneweide ist unser Kiez!
Seit der letzten Juniwoche befindet sich in Berlin-Schöneweide in der Brückenstraße 9 ein neuer Nazi-Laden. In direkter Nähe zur zentralen Kneipe der Berliner Nazi-Szene »Zum Henker« hat der Neonazi Sebastian Schmidtke ein Geschäft angemietet, in dem er nun unter dem Namen »Hexogen« nach eigenen Angaben »alles für den Aktivisten« vertreibt. Konkret verkauft er neben Militärsachen und »Sicherheitsdienstbedarf« auch typischen Nazi-Kram (unter Anderem CDs und Shirts). Bei dem Namen »Hexogen« handelt es sich bezeichnenderweise um einen in Berlin entwickelten giftigen Sprengstoff, der in großen Mengen im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. Es ist also offensichtlich, was Schmidtke versucht: Er will in Schöneweide nicht nur einen weiteren nazistischen Treffpunkt etablieren, sondern seine Szene auch aktiv mit Propaganda und Waffen unterstützen.
Darauf haben wir keinen Bock! Denn mit dem »Henker« und der NPD-Zentrale gibt es in Treptow-Köpenick bereits zwei Orte der organisierten Nazi-Szene zuviel.
Bereits seit Frühjahr 2009 existiert in der Brückenstraße 14 die Nazikneipe »Zum Henker«. Schnell hat sich dieses Lokal zum berlinweiten Nazi-Treffpunkt etabliert, in dem neben »normalem« Barbetrieb vor allem Kameradschaftstreffen, Propaganda- und Musikveranstaltungen sowie Angriffe auf Andersdenkende zur alltäglichen Praxis gehören. Nicht nur die »üblichen« Betroffenen von Nazigewalt (Linke, Homosexuelle, Menschen mit Migrationshintergrund und viele mehr) sind dabei die Leidtragenden, sondern es kann einfach jede und jeden, die oder der kein Neonazi ist, treffen.
Zuletzt kam es am 27.Juni dieses Jahres zu einem Übergriff durch »Henker«-Gäste auf zwei Personen in der Brückenstraße. Doch das es sich dabei um Zivilpolizisten handelte, wussten die Nazis nicht. Bezeichnenderweise lies die Reaktion der Staatsorgane diesmal nicht so lange auf sich warten, wie wir es von anderen Naziangriffen sonst kennen: Es gab Festnahmen und zum wiederholten Male eine Razzia im »Henker«, bei der mehrere Waffen gefunden wurden. Schon zuvor patrouillierten bewaffnete Gäste des »Henkers« und die Betreiber des »Hexogen« durch den Kiez, auf der Suche nach potentiellen Opfern. Es kann sich hier nur um einen glücklichen Zufall handeln, dass sie niemanden gefunden haben.
Der Betreiber des neuen Naziladens Sebastian Schmidtke ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern derzeit einer der umtriebigsten Neonazis in der Berliner Szene. Er ist ein Multifunktionär, der nicht nur stellvertretender NPD-Landeschef ist und auf der NPD-Liste ganz weit vorn für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung in Treptow-Köpenick sowie zur Abgeordnetenhauswahl für die Partei kandidiert, sondern er ist auch seit Jahren Anmelder zahlreicher Neonaziaufmärsche in Berlin.
Vor wenigen Wochen wollte Schmidtke mit rund einhundert bundesweit herangekarrten Neonazis als Höhepunkt einer rassistischen, sogenannten »Ausländer raus!«-Kampagne durch Kreuzberg marschieren. Die Berliner Polizei unterstützte dieses Vorhaben tatkräftig: Sie verschwieg so lange wie möglich den Aufmarsch und streute dann Falschinformationen. Und als trotzdem eine erfolgreiche Blockade durch mehrere hundert Leute zustande kam, kesselte die Polizei die Gegendemonstranten ein und schleuste die Nazis durch den U-Bahnhof Mehringdamm zum anderen Ausgang. Diese nutzten die Gunst der Stunde und griffen Passant_innen mit vermeintlichen Migrationshintergrund im U-Bahnhof und Gegendemonstrant_innen auf der Straße mit brutaler Gewalt an. Trotzdem wurde der Aufmarsch verhindert.
Sebastian Schmidtke steckt auch hinter der Nazi-Internetseite »NW-Berlin«. Bei der Seite handelt es sich um die Berliner Plattform von militanten Neonazis, auf der Listen mit politischen Gegner_innen sowie linke beziehungsweise zivilgesellschaftliche Einrichtungen als mögliche Angriffsziele benannt werden. Mehrere dieser Orte waren dann auch von den Brandanschlägen des Wochenendes betroffen, zum Teil versuchten die Neonazis sogar Wohnhäuser anzuzünden.
Ein Aufschrei in Berlins Medienlandschaft bleibt aus, stattdessen wird von einer »Gewaltspirale« und einer »Eskalation extremistischer Gewalt« gesprochen. Dies dient einzig und allein der Gleichsetzung im Sinne der Extremismus-Doktrin von antifaschistischen Aktivitäten mit den versuchten Mordanschlägen der Nazis. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass es mitnichten das Gleiche ist, wenn NPD-Funktionsträger – die als geistige Brandstifter und Gewalttäter agieren – in Rangeleien geraten oder wenn (wie in den vergangenen Tagen gesehen) Neonazis anfangen Wohnhäuser in Brand zu stecken und dabei gezielt den Tod von Menschen anstreben. Diese massiven qualitativen Unterschiede nicht zu benennen, soll dafür sorgen, dass lediglich »die Gewalt der Extremisten« wahrgenommen wird und nicht die elementaren unterschiedlichen Motivationen: Nämlich ein progressiv-emanzipatorisches und antifaschistisches Weltbild auf der einen Seite und die menschenverachtende NS-Ideologie der Nazis auf der anderen.
Es ist unsinnig von einer »Gewaltspirale« zu reden, denn Neonazis agieren unabhängig von antifaschistischen Aktivitäten gewalttätig. Es ist Kernelement ihres Handelns und Denkens. Seit einigen Tagen – noch vor der vermeintlichen »Gewaltspirale« – traten Neonazis in Niederschöneweide schon vermehrt aggressiv auf: Zuletzt wurde am 23. Juni eine Gruppe von Jugendlichen, die gegenüber des »Henkers« eine Garagenwand farblich gestaltete, von den Kneipengästen angepöbelt und bedroht. Nach der Aktion wurden sie von diesen verfolgt, bis sie in eine Sackgasse gerieten. Erst in letzter Sekunde, bevor die bereits vermummten Nazis die Gruppe angreifen konnten, kam eine Polizeistreife dazwischen.
Zudem kam es immer wieder zu nächtlichen Angriffen auf das »Zentrum für Demokratie«, das Büro der Linkspartei und andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen in der unmittelbaren Umgebung der Brückenstraße. Des Weiteren sprühen diese Personen in regelmäßigen Abständen Hakenkreuze und Parolen, die den Nationalsozialismus verherrlichen und dessen Opfer diffamieren. Oftmals werden während solcher Graffiti-Aktionen auch Denkmäler geschändet. Die Präsenz der Neonazis in Niederschöneweide, vor allem bedingt durch den »Henker« und perspektivisch auch zunehmend durch den neuen Naziladen in der Brückenstraße 9, bestärkt sie in ihrer Wahrnehmung von Schöneweide als »ihrem« Kiez, als »No-Go-Area« für potentielle Opfer von nazistischer Gewalt.
Dies werden wir den Nazis streitig machen. Mit Schmidtkes neuem Laden wird es für die rechte Szene noch attraktiver in Schöneweide. Das werden wir nicht zulassen, denn wir dulden keine Rückzugsräume für Neonazis. Schöneweide ist unser Kiez – wir werden ihn den Nazis nicht überlassen. Wir wollen zudem all den von Naziangriffen betroffenen Projekten und allen antifaschistisch Engagierten vor Ort unsere Solidarität bekunden.
Deswegen rufen wir dazu auf, mit uns am 8.Juli 2011 in Schöneweide zu demonstrieren!