Aufstieg des Katastrophenkapitalismus?
Naomi Klein stellt ihr neues Buch »Die Schock-Strategie« vor und diskutiert mit linken AktivistInnen über mögliche Konsequenzen.
Rund 350 Menschen nahmen am vergangenen Mittwoch auf den Stühlen und später auf dem Boden des Festsaal Kreuzberg Platz. Naomi Klein, die mit ihrem neuen Buch »Die Schockstrategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus« heftige Diskussionen nicht nur in der Linken, sondern auch im deutschen Feuilleton angezettelt hat, folgte einer Einladung der Gruppe »Für eine linke Strömung« (FelS) und der Rosa-Luxemburg Stiftung. Die Stimmung im vollen Saal war recht enthusiastisch und die Autorin ob der Kurzfristigkeit der Veranstaltungsankündigung erstaunt über die Mobilisierungsfähigkeit der Berliner "activists". Einen ersten Einblick in die Gedanken Naomi Kleins gab der 8-minütige Film "The Shock Doctrine", den sie zusammen mit Alfonso Cuarón gemacht hat und der auf ihrer Website zum Download bereitsteht.
Mit grandioser Geduld verfolgten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den folgenden drei Stunden ihre Thesen und Antworten auf die Fragen des Moderators und des Publikums. Klein erläuterte zunächst die Kernthese ihres neuen Buches, die Schockstrategie als Herrschaftstechnik der Regierenden. Diese nutzen der Autorin zufolge den Zustand menschlicher Konfusion, wie er nach Terroranschlägen wie am 11. September 2001, Naturkatastrophen wie dem Tsunami von 2004 oder Kriegen entsteht, um politische und ökonomische Reformen durchzupeitschen, »kollektive Erzählungen« umzuschreiben und soziale Errungenschaften vom Tisch zu wischen. Dabei ging Klein immer wieder beispielreich auf die Strategien der Mächtigen ein, diesen Zustand so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Beständig nahm die kanadische Autorin und Aktivistin die Sicht des Südens ein und erdete ihre Thesen in den Erfahrungen, die sie während ihres Aufenthalts in Argentinien 2000/2001 gemacht hat.
Die anschließenden Fragen und Diskussionen rankten sich weitgehend um Fragen der politischen Strategien. Ausgehend von der provokativen Frage des Moderators, warum sie sich in ihrem Buch so positiv zum Keynesianismus äußere und nicht radikal von jeder Marktförmigkeit distanziere, plädierte Naomi Klein dafür, sich sowohl historische als auch aktuelle Formen von »Mischökonomie« näher anzusehen und emanzipatorische Ansätze nicht abzuurteilen, nur weil sie keine »reine« Form kommunistischer Vergesellschaftung seien. Die Frage nach den Verantwortlichen für das von ihr beschriebene neoliberale »Shock-Treatment« beantwortete die Autorin mit einer eindeutigen Distanzierung von verschwörungstheoretischen Ansätzen. Das bewusste Nennen der Namen derjenigen, die dem Neoliberalismus den »intellektuellen Zuckerguss« geben, wie z.B. des Chefideologen Milton Friedman und der so genannten Chicago Boys solle im Gegenteil Licht ins Dunkel bringen und eben nicht auf geheime Mächte hinweisen. Das, was heute schon deutlich sichtbar ist und die Informationen, die verfügbar sind, reichten für das Benennen der Verantwortlichen lange aus und genau das habe sie in ihrem Buch versucht. Durch solche Gegeninformationen könne auch konkret Widerstand entstehen, da dieses Wissen um die Herrschaftsstrategien helfen könne, sich gegen diese zu immunisieren. Trotzdem brauche es gegen die individuelle Verunsicherung auch kollektive Strategien. »Wir müssen dem Desaster-Kapitalismus einen Desaster-Kollektivismus entgegensetzen« zitierte sie abschließend einen US-amerikanischen Organizer und bekam zum wiederholten Male lauten Beifall.