Klasse: Kämpfe!

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Kurzer Beitrag in der Zeitschrift "Jungle World" vom 25.06.03 zu den Möglichkeiten der radikalen Linken im Widerstand gegen Sozialabbau

Die radikale Linke steht vor einem Scherbenhaufen und gibt sich unschuldig. Sie jammert über deutsche Verhältnisse und gleichzeitig wollen viele von Klassenkämpfen nichts mehr wissen. Sozialer Widerstand und Kämpfe seien keine Garantie für Emanzipation, sagen sie. Eine Binsenweisheit, sollte man meinen. Statt genau hier den Ort für das eigene Handeln zu sehen, haben viele ihn bei sich selbst gefunden. Statt eine emanzipatorische, klassenkämpferische Politik zu entwickeln, steht die moralische und politische Integrität auf der Tagesordnung. Diese ist der Maßstab für jeden Bezug auf soziale Bewegungen. Die bürgerliche Biederkeit, der bessere Mensch sein zu wollen, wird der Begierde nach Emanzipation vorgezogen.

Ein Großteil der radikalen Linken beschränkt sich auf Ideologiekritik und halluziniert von einer wesenhaften und hermetischen deutschen Volksgemeinschaft, die sich ohne Brüche und Widersprüche immer wieder selbst herstelle. Grundlage und zugleich eine Folge dieses Verständnisses ist die Abwesenheit der radikalen Linken im Alltag. Aber genau hier entstehen die dominanten Vorstellungen. Rassismus, Nationalismus und Wohlstandschauvinismus haben im Alltag ihren Ausgangspunkt und werden von den politischen Eliten aufgegriffen. Dass weite Teile der Linken Konfrontationen im Alltag nicht mehr suchen wollen, sondern als Anbiederung an den »deutschen Mob« denunzieren, ist eine Ursache, warum wir vor einem Scherbenhaufen stehen.

In Situationen, in welchen ohne sichtlichen Widerstand etwa die Agenda 2010 durchgesetzt wird, kommt die Unfähigkeit der radikalen Linken zum Ausdruck. So wird seit Jahren in der linken Presse, die kaum noch Bindungen an real existierende Gruppen und Organisationen hat, der Selbstbezüglichkeit gefrönt. Ohne jeglichen Bezug zur alltäglichen Realität werden scheinbare »Experten der Praxis« nach dem »Was tun?!« befragt. Der immer noch ausstehende Bruch zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie sowie die Rolle von Attac als politisches Auffangbecken sind insofern ein »Verdienst« der radikalen Linken, die den Klassenkampf nur als Herrschaftsprojekt »soziale Frage« behandeln kann.

Das erste und einzige, was zurzeit zu tun ist, wäre sich überhaupt wieder mit sozialen Kämpfen auseinanderzusetzen und sich auf Grundlage der Bedingungen in das Experiment der emanzipatorischen Praxis zu stürzen. Erst dann wären weitere Schritte denkbar. Ohne ein Wissen um die deutschen Verhältnisse können sie auch nicht umgestürzt werden. In letzter Zeit ist »die Idee des Kommunismus« – wohl in dem Wissen, dass wir von ihm weiter entfernt sind denn je – wieder zur Parole avanciert. Wer aber vom Klassenkampf nicht reden will, sollte vor allem eines tun: vom Kommunismus schweigen!

Quelle: http://www.jungle-world.com/seiten/2003/26/1154.php