Für eine Linke, die dazwischen geht. Offene Arbeitskonferenz der IL.

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Wir möchten alle Menschen und Gruppen, die neugierig auf die Interventionistische Linke sind und sich vorstellen können, an dem Prozess der Organisierung unserer Strömung teilzunehmen, herzlich einladen zur

Zweiten Offenen Arbeitskonferenz der Interventionistischen Linken (IL) in Marburg, 25.- 27. April 2008, Philipps-Universität.



Heiligendamm

Wie groß die Reichweite der radikalen Linken in konkreten Kampagnen sein kann, dafür haben die Proteste und Aktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm ein deutliches Zeichen setzen können. Ein zentraler Akteur waren wir, die Interventionistische Linke (IL), ein bundesweiter Zusammenschluss von Einzelpersonen und Gruppen aus der undogmatischen und post-autonomen Linken. In dem zweijährigen Vorbereitungsprozess standen wir für eine klare Delegitimation der G8 - nicht nur in Worten, sondern auch in den Aktionen - sowie für eine solidarische und spektrenübergreifende Vorbereitung der gesamten Aktionswoche: die „Choreografie des Widerstandes."

Eine Auswertung unserer trotz aller Erfolge widerspruchsvollen Erfahrungen aus der Heiligendamm-Kampagne findet ihr in dem Papier „Wenn der Staub sich legt", das auf www.interventionistische-linke.de verfügbar ist.

Projekt und Prozess

Wir haben diese Rolle in Heiligendamm nur spielen können, weil wir eben kein Anti-G8-Bündnis waren und sind. Unsere Beteiligung an der Heiligendamm-Mobilisierung und am „Event G8" war nur ein erster gewagter Vorgriff auf die Möglichkeiten einer organisierten undogmatischen linksradikalen Strömung. Das Projekt IL ist über den Tag hinaus gedacht, ist ein Projekt in Bewegung, das sich durch Intervention in praktische Kämpfe entwickeln will. Diesen Prozess, der 1999 mit dem Beratungstreffen begann, möchten wir organisatorisch verstetigen - ohne schon zu wissen, wie das genau aussehen wird.

Strömung und Ort

Gesellschaftliche Auseinandersetzungen finden immer vor Ort statt – wo immer diese Orte im Einzelnen auch sind. Die IL wird vermutlich keinen spezifischen Ort haben: Weder die Fabrik noch den Stadtteil, weder die mediale Öffentlichkeit noch die Alltagskämpfe können eine herausgehobene Position vor anderen einnehmen. Interventionistische Politik möchte die antagonistische Perspektive und den Bezug auf das Gemeinsame mit den konkreten Bewegungen und Kämpfen verbinden, deren Teil wir sind. Deshalb wenden wir uns jetzt, nach Heiligendamm, wieder den vielfältigen und notwendigerweise meist lokalen Praxen zu. Nicht nur in der nächsten Kampagne, sondern auf diesem Weg der konkreten Intervention und Radikalisierung kann sich unsere Strömung zur organisierten Kraft formieren.

Nächste Schritte

Die Zweite Offene Arbeitskonferenz ist ein Experiment, die Weiterentwicklung unserer politischen Programmatik und unserer organisatorischen Konstituierung nicht (nur) als internen Prozess anzugehen, sondern gleich gemeinsam mit denen zu diskutieren und zu gestalten, die zukünftig dabei sein werden. Auf der Konferenz wollen wir über konkrete Felder und Projekte interventionistischer Politik diskutieren und über mittelfristige Strategien, Kampagnen und Herangehensweisen nachdenken:

* über die antifaschistische Bewegung, in der zwar viele von uns seit Jahren aktiv sind, für die eine Bestimmung interventionistischer Strategie und Praxis aber trotz interessanter Ansätze noch aussteht * über das, was wir im engeren Sinn „soziale Kämpfe" nennen, Auseinandersetzungen, in denen viele Linke in den letzten Jahren neue Praxisformen getestet haben. Hier gilt es, überhaupt erst einen Austausch über die unterschiedlichen Erfahrungen herzustellen, um so das Feld möglicher gemeinsamer Interventionen, vielleicht auch Kampagnen zu bestimmen * über Kämpfe gegen Militarismus und Sicherheitspolitik und die Möglichkeiten effektiv wehrkraftzersetzender Interventionen * über Antirassismus und die Frage der Globalen Sozialen Rechte, auf die sich auch viele andere politische Kräfte beziehen * schließlich über Klima und Energie, einem Feld, in dem sich neue Bewegungsprozesse andeuten, in denen wir aber nur wenige Erfahrungen und deshalb umso mehr Fragen haben.

Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit - weder im Spektrum der hier genannten Interventionsfelder noch für die jeweils einzelnen. Aber wir suchen in jedem einzelnen wie in allen Feldern die Perspektive auf radikale Gesellschaftsveränderung. Im bisherigen Prozess der IL wie in der Praxis der beteiligten Gruppen, Projekte und Einzelpersonen haben sich dazu Grundmuster einer gemeinsamen Praxis herausgebildet, die wir auf der Arbeitskonferenz klären, hinterfragen und weiterentwickeln wollen. Die Debatte darum ist offen für alle, auch und gerade für die, die daran bisher nicht beteiligt waren.

Intervention

Der Prozess der IL hat sich seit ihren Anfängen 1999 aus dem Wunsch heraus verstetigt, sowohl die bloß kommentierende, leicht in Zynismus umschlagende Haltung vieler Linksradikaler zu überwinden, als auch aus unseren Nischen, Szenen, Kiezen und Teilbereichsprojekten heraus zu kommen. Wir wollen als linksradikale Strömung auf bundesweiter Ebene sichtbar und handlungsfähig werden, um in gesellschaftliche Auseinandersetzungen real eingreifen, eben intervenieren zu können.

Die Zwischenräume, in denen radikale Linke bis auf weiteres die Orte ihrer Interventionen finden, öffnen sich zunächst einmal und vor allem in den Kampagnen und Mobilisierungen sozialer Bewegungen, in ihren konkreten sozialen Forderungen und an ihren konkreten sozialen Orten. Solche Bewegungen sind ihrem Wesen nach nicht plan- und kontrollierbar. Wo sich ein Funke entzünden und eine wirkliche Dynamik entstehen wird, lässt sich auch mit der richtigsten Analyse nicht vorhersagen. Bewegungen werden also nicht von dem einen oder anderen Akteur „gemacht" und ihre Dynamik lässt sich nicht einsperren oder beherrschen. Sie brauchen aber in ihren Kampagnen und Mobilisierungen die Beteiligung organisierter Linker, um praktischen Ausdruck und Wirksamkeit zu entwickeln. In diesem Sinne ist es unsere Aufgabe, als organisierte Linke Widersprüche aufzuspüren, zuzuspitzen und zu materialisieren.

Radikalisierung und Bruch

Die Interventionistische Linke ist eine Linke in und zwischen den verschiedenen sozialen Bewegungen, eine Linke, der es vor allem anderen darum geht, solche Bewegungen in Kommunikation und Aktion zu bringen. Kommunikation meint hier weit mehr als Papiere zu schreiben, meint vielmehr den tatsächlichen Austausch, den Blick über den eigenen Tellerrand und das Ausloten gemeinsamer und unterschiedlicher Interessen und Aktionsperspektiven: Kommunikation ist das Medium, in dem sich verschiedene soziale Kämpfe gemeinsam in Richtung auf ein alternatives (welt-)gesellschaftliches Projekt radikalisieren können. Eine radikale Linke wird im Dazwischengehen deshalb immer auch sag-, sicht- und streitbar machen, dass rebellische Wünsche und emanzipatorische Kämpfe konsequent nur in einer Politik des offensiven Bruchs mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen ausgefochten werden können. Dies gilt auch und gerade dann, wenn der Bruch selbst nur in einem langen Prozess real werden kann. Antagonistisch wird der Bruch, wenn er die Macht- und die Eigentumsfrage aufwirft – und beantwortet: in der Perspektive der kollektiven Aneignung des weltgesellschaftlichen Reichtums und der materiellen und symbolischen Bedingungen seiner Reproduktion, d.h. in der Perspektive der Abschaffung kapitalistischer und imperial(istisch)er Herrschaft.

Strategische Bündnisorientierung

Wenn die Linke in Deutschland ihre relative Bedeutungslosigkeit überwinden und wieder Einfluss auf die Entwicklung und die Richtung gesellschaftlicher Veränderung nehmen soll, dann wird das nicht das Werk einer einzelnen politischen Organisation oder Strömung sein können. Historisch war das Verhältnis von moderaten und radikalen Linken und der sozialen Bewegungen stets durch die Polarisierung auf ein letztes Entweder-Oder bestimmt: Reform oder Revolution, Masse oder Prinzip, Vermittlung oder Konsequenz, Pragmatik oder Kritik, Legalität oder Militanz - usw. usf.

In diesen noch immer offenen und immer wieder neu aufbrechenden Fragen steht die IL auf der Seite einer radikalen, den Umständen entsprechend vorläufigen und deshalb absehbar minoritären Linken. Gleichzeitig weisen wir das kategorische „oder" dieser Fragen aber zurück. Denn gerade aus der Bejahung der eigenen Radikalität und Minorität wissen wir uns auf den Austausch und die Kooperationen mit moderaten Linken und mit den sozialen Bewegungen angewiesen. Zu einer Interventionistischen Linken gehört daher eine strategische Bündnisorientierung. Damit überschreiten wir ein bloß taktisches Verständnis von Bündnispolitik, das sich mit anderen Strömungen und Akteuren nur in den Grenzen konkreter, kurzfristiger Projekte einlassen will und sich eigentlich stets danach sehnt, die eigene Strömung oder Gruppierung so stark werden zu lassen, dass sie keine Koalitionen mehr benötigt. In einer strategischen Bündnisorientierung sind Bündnisse und Koalitionen das wesentliche Feld gesellschaftlicher Gegenmacht.

Aktionsformen

Zur strategischen Bestimmung von Politik gehört die Reflexion ihres praktischen Ausdrucks. Intervention bedeutet immer auch, Dinge umzusetzen und auszuprobieren. Eine radikale Perspektive und ein antagonistisches Bewusstsein entstehen nie allein aus der theoretischen Erkenntnis oder Akzeptanz der „richtigen" Linie. Es muss die praktische Erfahrung des Widerstands, der Grenzüberschreitung und der Solidarität in der Aktion hinzukommen.

Dabei kann es in Aktionen auch um den möglichst radikalen Ausdruck unserer Unversöhnlichkeit gegenüber dem System gehen - aber niemals nur um diesen Ausdruck allein, denn mit unseren Aktionen wollen wir immer Menschen zum Mitmachen, zum Sicheinmischen, zum Grenzübertritt, zum Kämpfen einladen und ermutigen. Ansonsten verkommt revolutionärer Anspruch zur Darstellung der eigenen Identität, die das Kernelement revolutionärer Aktion - den Kampf und die Bewegung der Vielen - aufgegeben hätte.

Allerdings gibt es in der IL keine einheitliche Position zur Reichweite, nicht einmal zur Interpretation der hier dargestellten Kriterien. In Hinsicht auf konkrete Aktionen kann für die einen die Grenze zur reinen Selbstrepräsentation bereits überschritten sein, während die anderen in derselben Aktion noch ein konstruktives, ermutigendes und notwendiges Fanal sehen. Tatsächlich kann das im Prinzip richtige Bemühen um Öffnung und Anschlussfähigkeit auch in Harmlosigkeit und Selbstbeschränkung kippen. Wie wollen wir also bei Demonstrationen und Aktionen auftreten? Wie erreichen wir ein solidarisches Verhältnis zu anderen Akteuren und Strömungen, die sich nicht nach unseren Kriterien ausrichten? Auch über diese Fragen wollen wir auf der Konferenz miteinander diskutieren. Dabei geht es nicht um ewige Wahrheiten, Formelkompromisse oder um Vereinheitlichung um jeden Preis, sondern darum, uns in gemeinsamer Praxis weiter zu entwickeln.

Beispielhaft für eine radikalisierende und interventionistische Dynamik waren die von uns mit vorbereiteten Block-G8-Blockaden in ihrem solidarischen Zusammenwirken mit den anderen Blockadekonzepten. Dabei haben wir praktisch erfahren, dass und wie wir als Bewegung gewinnen können. Gleichzeitig haben die Blockaden dazu beigetragen, dass bis weit ins moderate und bürgerliche Lager wieder über „Zivilen Ungehorsam" auch in anderen Auseinandersetzungen nachgedacht wird. Wie diese Impulse sowohl des massenhaften Regelübertritts wie des solidarischen Zusammenspiels verschiedener Aktionsformen strömungsübergreifend aufzugreifen, zu verstetigen und weiter zu radikalisieren sind, ist für uns daher eine spannende Herausforderung.

Revolutionäre Organisation und Autonomie sozialer Bewegungen

Mit den deutlich sichtbaren Rissen in der neoliberalen Hegemonie wird ein neues antagonistisches Projekt möglich. Deshalb stellt sich uns allen die Frage nach Organisierungsformen, die Handlungs- und Lernfähigkeit mit einer undogmatischen Offenheit und Basisorientierung verbinden. Wir wollen nie wieder zurück hinter den Pluralismus der Bewegungen und Subjektivitäten, nie wieder zurück zur Unterordnung der Bewegungen unter „die" Organisation. Organisierungsprozesse mit antagonistischer Perspektive wie die IL sind besondere Medien der sozialen und politischen Kämpfe, sie sind aber nur ein Medium unter anderen.

Willkommen …

Wir glauben, dass diese und ähnliche Überlegungen nicht nur von den jetzt schon am Projekt IL beteiligten Gruppen und Personen geteilt werden. Die undogmatische linksradikale Strömung, die nach neuen Wegen sucht, um gesamtgesellschaftlich interventionsfähig zu werden, gibt es in nahezu allen Orten der BRD. Es gibt sie in post-autonomen Gruppen, in der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung, in antimilitaristischen Initiativen, es gehören Leute dazu, die in Gewerkschaften oder Erwerbslosen-Inis aktiv sind, die sich größere soziale oder politische Strukturen als Interventionsfeld gesucht haben, die publizistisch oder wissenschaftlich tätig sind. Zu ihr gehören auch viele junge GenossInnen, die auf der Suche nach einer kollektiven Form für ihre rebellischen Wünsche nach einer ganz anderen Welt sind.

Alle jene, die uns mögen, sich am Prozess beteiligen, sich auch mit uns streiten, sich aber vor allem gemeinsam ins Handgemenge begeben wollen, sind ausdrücklich angesprochen und eingeladen. Kommt vom 25. bis 27. April 2008 zur Zweiten Offenen Arbeitskonferenz der IL nach Marburg und diskutiert mit uns die nächsten und die ferneren Möglichkeit, zusammen zu kommen und gemeinsam aktiv zu werden. Make capitalism history!

Interventionistische Linke, im März 2008