Die offene Flanke der Umweltbewegung

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Ein Standpunkt von FelS auf Klimaretter.info:

Beim invormativen Klimaretter.info ist ein Standpunkt von FelS zu Bedeutung der sozialen Frage für die Umweltbewegungen veröffentlicht worden:

 

An diesem Wochenende traf sich in Leipzig ein Bündnis, das mit einer breiten Aktion des zivilen Ungehorsams im August den Betrieb einer Braunkohlegrube stoppen will. Trotz der Konzentration auf den sofortigen Kohleausstieg ist es wichtig, den Kampf gegen Energiearmut als Teil der eigenen Bewegung zu begreifen.

Im Dezember veröffentlichte die Bundesnetzagentur die jüngsten Zahlen zu Stromsperrungen in Deutschland: 344.798 Haushalten wurde im Jahr 2013 der Strom abgeklemmt, sieben Prozent mehr als im Jahr davor. Und das ist nur die traurige Spitze des Eisbergs. Millionen Menschen haben mit Energieschulden, Mahngebühren und Sperrungsdrohungen zu kämpfen. Ursache der um sich greifenden Energiearmut ist – entgegen mancher Vorurteile – nicht ein Mangel an Wissen oder Willen auf Seiten der Betroffenen, Energie zu sparen, sondern es sind steigende Strompreise, stagnierende Hartz-IV-Sätze und allgemein wachsende Armut in der Bundesrepublik.

Gleichzeitig nahm in den letzten Jahren der Anteil der Kohlekraftwerke am Strommix zu und damit verbunden stiegen die Treibhausgasemissionen in Deutschland insgesamt an. Auch wenn die Kohleverstromung 2014 leicht zurückging und die Emissionen damit erstmals wieder sanken, stellten Stein- und Braunkohle immer noch 44 Prozent der Bruttostromerzeugung. Seit die großen Stromkonzerne die Atomenergie aufgeben müssen, ist die schmutzige Kohle ihr letztes starkes Standbein. Auch deshalb wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz im letzten August massiv zusammengestutzt und auf die Interessen der großen Player ausgerichtet.

Ein Erfolg der Energielobby

Dass diese zwei Entwicklungen nicht im Zusammenhang diskutiert werden, ist ein Teil des Problems: Die Verteilungsfrage ist die offene Flanke der Umweltbewegung, die es der konventionellen Energiewirtschaft erlaubt hat, über die Kostenfrage die Energiewende zu diskreditieren und der Kohle zumindest zu einem begrenzten Revival zu verhelfen. Dass die Energielobby die steigenden Strompreise so erfolgreich als Konsequenz des EEG verkaufen konnte, hing auch damit zusammen, dass klima- und umweltpolitisch Bewegte keine Antworten auf das Problem der Energiearmut bereithielten.

Und wir werden auch weiteren Angriffen auf die Energiewende nicht trotzen können, solange nicht größere Teile der Bevölkerung in Klimaschutz und Energiepolitik ein eigenes Anliegen erkennen, das über reinen Öko-Idealismus einerseits und Solaranlagen für Häuslebauer*innen andererseits hinausgeht.

Wirkungsvollster Angriffspunkt: die Preise

Hintergrund der Offensive gegen das EEG ist der sich zuspitzende Systemkonflikt zwischen der konventionellen Energiewirtschaft und der neuen Greentech-Branche. Mit dem beschleunigten Zubau erneuerbarer Energien werden die laufenden Kohle- und Gaskraftwerke zunehmend unwirtschaftlich, Neuinvestitionen lohnen sich kaum noch, die Marktmacht und die prächtigen Renditen der etablierten Player sind in existenzieller Gefahr.

Dabei hat sich die Kohle- und Atomlobby sogar grundsätzlich mit der Energiewende abgefunden. Sie will aber die Erneuerbaren möglichst stark ausbremsen, um ihre alten Dreckschleudern noch so lange wie möglich weiterbetreiben zu können und die grünen Märkte selbst unter ihre Kontrolle zu bekommen. Ihr Problem ist nur: Eine große Mehrheit der Bevölkerung hält die Stromkonzerne für Abzocker, will möglichst schnell raus aus der Atomenergie, sieht in der Kohle ein Auslaufmodell und setzt ihr Vertrauen in die erneuerbaren Energien. Spätestens nach Fukushima kam diese Einsicht auch in konservativen Milieus an.

Um diese Mehrheiten aufzubrechen und für ihre Interessen zu gewinnen, haben die Industrievertreter*innen in den letzten Jahren immer wieder ähnliche Argumente in der Öffentlichkeit lanciert: Atom- und Kohlekraftwerke seien in Wahrheit die besten Klimaschützer, ohne sie gingen in Deutschland die Lichter aus, die Windräder verschandelten die Landschaft und die Netze kämen dem rasanten Ausbau der Erneuerbaren nicht hinterher.

Kein Angriffspunkt erwies sich aber als so wirkungsvoll wie die Behauptung, durch die Energiewende würden die Stromkosten explodieren und damit nicht nur die privaten Haushalte belasten, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und damit tausende Arbeitsplätze bedrohen. Als Konsequenz wiederholen sie mantraartig ihre Forderungen: Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse stärker gesteuert und begrenzt werden, sie müssten sich endlich dem Markt stellen und das EEG müsse durch ein Quoten- oder Ausschreibungsmodell ersetzt werden. Mit einer offenen Kampagne für Kohle oder Atom würden die Konzerne gnadenlos scheitern. Doch mit einem Angriff auf die Energiewende könnten sie ihr altes Geschäftsmodell retten – so ihre Hoffnung.

Eine erste Offensive im Jahr 2010 konnten Unterstützer*innen der erneuerbaren Energien zwar – auch mit Rückenwind durch Fukushima – verhindern. Kanzlerin Merkel und der damalige Umweltminister Peter Altmaier entschieden sich, die Bundestagswahl 2013 abzuwarten. Doch es gelang den Konzernfreund*innen – allen voran der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft –, öffentlich die Erneuerbaren-Branche als egoistische Kostentreiber zu brandmarken, die Skepsis in der Bevölkerung zu nähren und eine Allianz zur Abwicklung des EEG zu schmieden.

Zahnloser Widerstand der Umweltbewegung

Da kam ihnen 2012 die Erhöhung der EEG-Umlage auf über fünf Cent pro Kilowattstunde gerade recht. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, wieso die neue Bundesregierung im Frühjahr 2014 trotz angeblicher Energiewende das EEG zusammenstreichen konnte und der Widerstand der Öko-Aktivist*innen so zahnlos blieb. Das verschaffte den Energieriesen eine wichtige Verschnaufpause, um ihr Kohlegeschäft verteidigen zu können.

Was bedeutet das nun für die Umweltbewegung? Zunächst müsste sie allein um der Betroffenen willen das Problem der Energiearmut ernst nehmen, umweltverträgliche, aber auch sozial gerechte Lösungen entwickeln und enger mit Sozialverbänden und Mieter*inneninitiativen zusammenarbeiten. Vor allem muss sie eine plausible Alternative zum Bild der Gegenseite entwerfen, dem gemäß alle Stromverbraucher*innen – vom Großkonzern bis zu ALG-II-Bezieher*innen – gleichermaßen unter den Renditeansprüchen der Erneuerbaren-Branche leiden würden. Industrieprivilegien anzuprangern reicht nicht.

Denn die Industrielobby war mit ihrer Kampagne nur deshalb so erfolgreich, weil Energiearmut tatsächlich für viele Menschen ein alltägliches Problem darstellt. Und weil Teile der Umweltbewegung ignorieren, dass Preissteigerungen eine höchst ungerechte Einsparmaßnahme darstellen, die die Armen am härtesten trifft, obwohl sie ohnehin schon den niedrigsten Verbrauch haben.

Ökologisch oder sozial? Nur beides zusammen geht

Deshalb muss die Klima- und Umweltbewegung praktische Antworten entwickeln, die zeigen, dass soziale und ökologische Gerechtigkeit keine Gegensätze sind. Eine sozial-ökologische Allianz müsste Produktion und Verteilung von Energie als höchst politische Fragen benennen und das Menschenrecht auf Energie in konkrete Forderungen übersetzen. Vor allem müsste sie zusammen mit den Betroffenen eine politische Praxis entwickeln, die ihnen erfahrbare Verbesserungen bringt, um den Angriff auf die Energiewende glaubhaft zurückweisen zu können.

Ernst gemeinter Klimaschutz bedarf einer Transformation, die tief in die Strukturen unserer Gesellschaft eingreift. Eine gesellschaftliche Mehrheit, die diesen Wandel trägt, werden wir nur für uns gewinnen, wenn wir glaubhaft vermitteln können, dass die Gerechtigkeit, die im Wort Klimagerechtigkeit steckt, von den Klimawandelbetroffenen im globalen Süden bis in unsere eigenen Wohnzimmer reicht.

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