DIE EUROPÄISCHE KOMMUNE

Druckversion
Zur Eröffnung der Mobilisierung für den Turiner Juli und den „Herbst der Kämpfe” der europäischen sozialen Bewegungen

** ENGLISH VERSION BELOW **

 

Als Aktivist_innen der Interventionistischen Linken (D) und der Koalition der Sozialen Zentren (I) sind wir uns schon auf vielen Straßen und Plätzen überall in Europa begegnet. Zusammen mit anderen haben wir begonnen, unsere Diskussionen und unsere Kämpfe über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus auf eine transnationale Perspektive zu öffnen. Selbstverständlich greifen wir dabei auf den Internationalismus zurück, den wir so, mit all‘ seinen Erfolgen und mit all‘ seinen Niederlagen, zu unserem gemeinsamen Erbe machen.


Die Rolle der Linken in den Bewegungen der Plätze und den Kämpfen für Demokratie hat heute schon neue Verhältnisse und Beziehungen geschaffen. Die assambleas, die Plattformen der Solidarität und die sozialen Netzwerke sind Versuche, die Zentren der Macht aufzulösen und eine neue gemeinsame Existenz zu schaffen, sie hauchen unseren Kämpfen neues Leben ein. Indem wir lernen, die dabei gewonnenen Erfahrungen in unsere Fantasie und in unsere Praktiken zu übersetzen, beziehen wir uns schon auf Europa als auf unseren gemeinsamen Horizont.


Die Krise fordert uns heraus, uns als Linke erneut für eine wirkliche gesellschaftliche Transformation einzusetzen. Seit sich unsere Wege während der Frankfurter Blockupy-Tage des Jahres 2012 gekreuzt haben, verspüren wir das dringende Bedürfnis, mit neuen Formen der sozialen und politischen Zusammenarbeit zu experimentieren, einem Austausch, der uns ermöglichen soll, unsere militante Subjektivität konstitutiv in eine europäische Perspektive einzubringen. Aufbauend auf gemeinsamen Erfahrungen, zu denen viele andere beitragen haben, legen wir hier einen ersten Versuch vor, die Punkte zusammenzubringen, über die wir uns weiter verständigen wollen, untereinander und mit Allen, die sich daran beteiligen wollen. Eine transnationale Perspektive als Raum, um Atem zu holen.

 

Unser Sprung in die Transnationalität kann als die Folge von sieben Jahren der Krise verstanden werden, besser gesagt: als die Folge der Jahre, in denen der Finanzkapitalismus selbst zu einer einzigen Krise geworden ist. Obwohl die Krise systemisch ist, hat sich gezeigt, dass sie den Kapitalismus nicht zum Kollabieren bringt. Die Krise ist eine ökonomische und eine ökologische Krise. Sie ist eine Krise der gesellschaftlichen Reproduktion: der Energiequellen und -versorgung, der Nahrungsmittelproduktion und des Konsums überhaupt. Alle diese Aspekte der Krise müssen wir in Rechnung stellen, wenn wir die Totalität der alten wie der neuen Formen kapitalistischer Ausbeutung bekämpfen wollen.


Obwohl die Krise ganz offensichtlich eine globale Krise ist, breitet sie sich auf dem Planeten in ganz unterschiedlichen Weisen aus, ist sie in ganz verschiedener Gestalt zur vielfältig „territorialisierten“ Krise geworden. Im Horizont Europas tritt sie uns als „Euro-Krise“ entgegen. Dabei ist der europäische Horizont selbst äußerst widersprüchlich und komplex. Ohne das hier in aller Tiefe analysieren zu können, wollen wir doch einige der Konsequenzen benennen, die wir daraus zu ziehen haben. In dem Maß, in dem Europa als Ganzes nach wie vor von der Ausbeutung des globalen Südens profitiert, fügt sich das Krisenmanagement der kapitalistischen Oligarchien in Europa zu einer umfassenden Restrukturierung der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und der Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums. Dabei wird der extraktive Charakter der herrschenden Produktions- und Reproduktionsweise weiter verstärkt und gegen eine gesellschaftliche Kooperation in Stellung gebracht, die im selben Zug ein deutlich höheres Vermögen zur Selbstbestimmung, zur Autonomie gewonnen hat. In diesem Angriff auf die Gesellschaftlichkeit als solche liegt der Kern dessen, was die Oligarchien „Austeritätspolitik“ nennen.


Ausgeführt wird dieser Angriff im weiteren Rahmen des Versuchs, in den aus den Fugen geratenen Machtbeziehungen zwischen den Klassen, zwischen dem Kapital und der lebendigen Arbeit eine „Neue Ordnung“ zu etablieren. Die Rückseite, das andere Gesicht dieser Dynamik ist die zunehmende „Welt-un-ordnung“ im geopolitischen Verhältnis der alten und der neuen imperialen Mächte. In einer Welt, die aufgehört hat, als mono-polares Imperium zu funktionieren, versucht jede dieser Mächte ihr eigenes Revier der Vorherrschaft abzustecken. Statt der uns in Aussicht gestellten „friedlichen multipolaren Governance“ sehen wir uns mit dem „Ende des amerikanischen Zeitalters“ und dem Beginn einer neuen Ära konfrontiert: Einer Epoche, die durch neue, in sich vielgestaltigen Zentren des globalen Kapitalismus und durch die Wiederkehr einer muskelstrotzenden Kanonenbootpolitik gezeichnet ist. Das traurige Beispiel der Ukraine belehrt uns in dramatischer Weise, dass wir in eine Welt eintreten, in der die Unterscheidungen zwischen „Sicherheit“ und Krieg und zwischen Polizei und Armee außer Kraft gesetzt werden.


Kein Zweifel: Wir leben in einer „Ära der Revolutionen”. Diese Zeit ist durch tiefe, schnelle und unerwartete Transformationen von hochgradiger Ambivalenz bestimmt. Machen wir diese Zeit zu unserer Zeit, öffnen wir sie auf eine tatsächliche Revolution hin, ergreifen wir die Chancen eines radikalen gesellschaftlichen und politischen Umbruchs. Ergreifen wir diese Chancen mit allen, die sich gegen die kapitalistische Ausbeutung und das kapitalistische Kommando erheben, um Verhältnisse zu schaffen und Beziehungen zu stiften, in denen es gelingen kann, unsere Ressourcen, unsere Gesellschaftlichkeit und unsere Kooperation endlich zu unserer eigenen Sache, zu unserem Gemeinsamen zu machen. Wir verfallen dabei nicht idealistischen Vorstellungen, ideologischen Versprechungen oder „wissenschaftlichen“ Lösungen, sondern vertrauen allein den sozialen Bewegungen, einem gegenseitigen Lernen und Lehren beim Experimentieren mit und im Kampf um bessere und gleiche Lebensbedingungen: im Respekt vor der Einzigartigkeit eine_r Jeden und vor dem Gemeinsamen der Kämpfe. Wir reden von einer unmittelbar politischen Perspektive. Schaffen wir Kräfte, die zugleich antagonistisch und protagonistisch sind, d. h. Kräfte, die in ein und demselben Zug Gegenspieler_in des Alten und Vorkämpfer_in des Neuen sind, weil sie sich auf einer transnationalen Ebene und in einem Horizont der permanenten Konstitution verorten. Gesellschaftliche Selbstorganisation und ebenso weit gestreute wie wirkmächtige Praktiken des Konflikts müssen eine Sprache finden, die von den Multituden der Leute verstanden und gesprochen werden kann, die sich über all‘ die Grenzen hinwegsetzen, die uns voneinander trennen sollen. Uns stellt sich die Aufgabe, klar und deutlich die Gegner zu benennen, mit denen wir uns zu messen haben, die Verhältnisse der Unterwerfungen, die wir unterwandern müssen; uns stellt sich aber auch die Aufgabe, die Perspektiven der Befreiung zu eröffnen und die neuen Bedingungen der Gleichheit zu ergreifen: die gemeinsame Alternative, die wir nur kollektiv ausbilden werden.


Europa findet längst statt. Der europäische Horizont umreißt den für uns entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Handlungsraum. Das imperiale Europa der herrschenden Ordnung ist für uns alle ein Schlag ins Gesicht. Dass dieses Europa die Welt zerstört, ist die Diagnose, die heute den Ausgangspunkt aller Politik markiert. Das zwingt uns zur Vorsicht, wenn wir bestimmen wollen, was wir unter „Europa“ verstehen. Wir verweigern den institutionellen Grenzen der Europäischen Union die Anerkennung. Ihr Grenzregime ist ein gewalttätiges und mörderisches Instrument zur Kontrolle und Disziplinierung der lebendigen Arbeit, das widerwärtige rassistische Fantasien wiederherstellt und in Bewegung setzt, die überkommener Teil des historischen und kulturellen Konstrukts Europas waren und jetzt zur kapitalistischen Regulation einer neuen internationalen Arbeitsteilung genutzt werden sollen. Wir bekämpfen dieses Projekt von innen heraus, an der Seite und zusammen mit den Migrant_innen und Flüchtlingen, die von allen Enden der Welt nach Europa kommen, um hier ein besseres Leben zu suchen oder wenigstens zu überleben. Das ist der Grund, warum der Kampf für die Bewegungsfreiheit der Migrant_innen und Flüchtlinge ein Kern unseres Anliegens ist. Von daher ist unser Europa zugleich ein Schlachtfeld und ein Raum der Möglichkeit, eine veränderliche, bewegliche Topografie der gesellschaftlichen Spannung und des Konflikts im Dämmerlicht einer werdenden Gesellschaftlichkeit, die noch keine Wirklichkeit, doch mehr als nur ein Traum ist. Unser Europa öffnet sich auf den Osten und den Süden und überwindet die ihm auferlegten Grenzen in tätiger Solidarität. Ist das herrschende Europa unser Werk und unsere Entfremdung, so ist unser Europa nicht nur der Raum der Kämpfe des Übergangs, sondern der Entscheidungshorizont einer Praxis des Gemeinsamen: die europäische Kommune!

 

In diesem neuen Geist bestreiten wir gemeinsam die Europäischen Aktionstage vom 15.–25. Mai und die transnationale Mobilisierung gegen den EU-Gipfel zur Jugendarbeitslosigkeit, der am 11. Juli in Turin stattfinden soll. Dabei ist Turin für uns nicht das Ziel, sondern nur der Ausgangspunkt einer von unten, von den konstituierenden sozialen Bewegungen Europas getragenen „Jahreszeit der Kämpfe“. Wir bereiten uns damit auf einen Herbst vor, der zum ersten Mal einen wirklich kontinentalen Horizont weitverzweigter und vielgestaltiger gesellschaftlicher Konflikte eröffnen wird: ausgerichtet auf den Tag X, an dem wir uns alle wiedersehen werden, um gemeinsam die Eröffnung der Türme der neuen Europäischen Zentralbank in Frankfurt zu blockieren.

 

Berlin ist das neue Rom. Mit ihrem Mantra von der „Alternativlosigkeit” hat die „Große Koalition“ in Deutschland als Sachwalter_in der kapitalistischen Oligarchien de facto die Führung der EU-Institutionen übernommen. Sie übt ihre Hegemonie in einem Klima aus, in dem die reaktionärsten nationalistischen Kräfte gedeihen und hoffähig werden. Wir alle wissen, dass das Europäische Parlament verglichen mit der Troika und der Dynamik der Beziehungen zwischen den Regierungen kaum ins Gewicht fällt. Da es uns vor allem anderen auf die Bildung sozialer Bewegungen ankommt, sind die Wahlergebnisse der politischen Parteien und die Zahl ihrer Mandate nicht der entscheidende Punkt im Blick auf die Europawahlen. Uns interessieren diese Wahlen nur in dem Maß, in dem sie Auskunft über das politische Milieu gewähren, in dem wir uns bewegen: Insofern sie – was vor allem in Griechenland der Fall sein wird – eine Art gesellschaftliches Referendum darstellen, mit dem sich politische Räume öffnen, in denen sich Alternativen zur herrschenden „Alternativlosigkeit“ herausbilden könnten. Indem wir das sagen, bestätigen wir noch einmal, dass eine wirkliche Umkehr des in den letzten Jahren vorherrschenden Trends nur durch den Aufbruch starker und zugleich überall sich ausbreitender sozialer Bewegungen erreicht werden wird. Nur „in Bewegung“ wird hervortreten, was wir „gesellschaftlichen Protagonismus“ nennen: eine Konstellation von Subjektivitäten und Praktiken, die dem Anderen zur herrschenden Ordnung Bahn brechen kann.


In dieser Perspektive werden die EU-Regierungschefs in Turin mit ihrer größten Herausforderung konfrontiert sein. Halten wir an dieser Stelle unmissverständlich fest, was wir meinen. Das entscheidende Moment der sogenannten Arbeitslosigkeit findet sich nicht in den zweistelligen statistischen Angaben, die das dramatische Niveau der gesellschaftlichen Misere vor allem im Süden Europas definieren. Stattdessen geht es darum, das Verhältnis zwischen Kapital und lebendiger Arbeit im europäischen Horizont mit den Waffen der Kritik zu untersuchen und durch ein neues Arsenal politischer und organisatorischer Vorschläge zu durchkreuzen. Wir müssen uns mit den Möglichkeiten bewaffnen, die sich aus dem hochkomplexen Phänomen der neuen gesellschaftlichen Zusammensetzung der lebendigen Arbeit ergeben, aus ihren Widersprüchen, ihrer Befähigung zum Kampf wie aus den aktuellen Formen ihres Regiertwerdens im kapitalistischen Arbeitsmarkt. Unsere Erkenntnisse und unsere Vorschläge müssen überall in Europa vernehmbar werden. Die kalten Zahlen der Statistik sagen wenig über den tief greifenden und lang anhaltenden Prozess der Prekarisierung, und das nicht nur im Blick auf Lohnverhältnisse und Arbeitsverträge als Instrumenten der Regierung und Kontrolle der Arbeit. Wir müssen uns vielmehr der Prekarisierung der Formen des Lebens selbst zuwenden, die sich aus der alles durchdringenden Ausübung von Bio-Macht ergeben und die sehr viel tiefer in den finanziellen Kreditverhältnissen als in den herrschenden Betriebsordnungen verankert sind. Wir müssen all‘ die alten und neuen Formen der Erpressung und Einzwängung der ausgebeuteten Arbeiten untersuchen und bekämpfen: von den Minijobs bis zur befristeten Arbeit, von den Zeitverträgen bis zur irregulären und klandestin verrichteten Arbeit, von der unter-bewerteten einheimischen Arbeit zur wert-losen Plackerei und Hausarbeit. Ihnen allen setzen wir unsere Forderung nach einem garantierten Einkommen (reditto) entgegen. Mit ihr fordern wir – um das hier in aller Deutlichkeit festzuhalten – eben nicht nur ein „Grundeinkommen“, sondern die Garantie einer umfassenden sozialen Infrastruktur, die das Recht auf Wohnen, Ernährung und Gesundheitsversorgung, das Recht auf Mobilität und Zugang zu Information einschließt. Wir fordern dieses Einkommen universal, d. h. umfassend und für alle, und unkonditioniert, d. h. frei von jeder Bedingung.


Wenn wir diesen Kampf im europäischen Horizont führen wollen, müssen wir gesellschaftliche und politische, militante und diskursive Räume und Netze einer transnationalen Neuzusammensetzung von Gesellschaft schaffen. Wir müssen herausfinden, wie man bewegliche Zonen der Begegnung jenseits des Tourismus, jenseits aller „Erasmus-Reisen“ schafft – eine bewegliche Gemeinde transnationaler Bewegungen auf der Suche nach ihrer Gemeinsamkeit, die sich das Wissen und das Bewusstsein von dem schafft, worin zugleich ihre Andersartigkeit und ihre Gleichartigkeit liegen: das Wissen von den Weisen, in denen die Krise Europa in Besitz und Beschlag nimmt, indem sie jeweils unterschiedliche Räumlichkeiten und Zeitlichkeiten schafft, Raum- und Zeitunterschiede, die es uns schwer machen sollen, zueinanderzufinden und zusammenzukommen. Wir suchen einen zugleich offenen und verbindlichen Weg, zusammen wachsen, lernen und handeln zu können, über die Grenzen hinweg und jenseits der Grenzen, die die unterschiedliche Logik regionaler und nationaler Kontexte uns setzen. Es geht uns um die Erforschung unserer Möglichkeiten. Für die Bewegungen ist Europa kein Problem verschiedener Sprachen, gesellschaftlicher Landschaften und verschiedenen alltäglichen Handelns, kein Problem von Ferne und Nähe; für die Bewegungen ist Europa der Fluchtpunkt ihres Selbst. Was bringt uns zusammen und in welche Richtung wollen wir uns fortbewegen?


Welche Vorschläge können wir machen, die in die verschiedenen und verschiedenartigen Räume übersetzt werden können? Nehmen wir, in aller Kürze und um ein Beispiel zu geben, unseren eigenen lokalen Kontext in den Blick. In Deutschland haben wir zusehen müssen, wie sich große Teile der Bevölkerung von aller Klassensolidarität losgesagt haben, um in einem Akt zynischer Vernunft für politische Kräfte zu stimmen, von denen sie annehmen, dass sie ihnen in der Zersetzung jeder sozialen Sicherung Schutz gewähren. Und tatsächlich ist Austerität der Neue Deutsche Gesellschaftsvertrag, umgesetzt in und als Agenda 2010 und jetzt auf ganz Europa übertragen. Gleichzeitig setzt deutsche Politik in Deutschland öffentliche Mittel ein, um Reichtum in minimaler Weise und unter extrem individualisierenden Bedingungen so umzuverteilen, dass die Leute zugleich voneinander entfremdet und jeweils für sich allein in Abhängigkeit von der Staatsmaschinerie gehalten werden. Die daraus resultierende Furcht vor dem Sturz in den Abgrund und die Erfahrung der Hilflosigkeit werden dann in eine nationalistische Versuchsanordnung eingespeist, in der die Wut und die reaktionäre Feindseligkeit der „Verunsicherten“ auf die gehetzt werden, die in noch größerer Unsicherheit leben müssen. Wir finden dieses Muster in der Mobilisierung aller „normalisierten“ Verhältnisse wieder: in Rassismen, in Sexismen und Heteronormativitäten – Muster, die bis in unsere eigenen Organisierungen und Praktiken hineinwirken. Wie kann es uns gelingen, diese Furcht in Gesellschaftlichkeit zu übersetzen?


Der Gipfel von Turin öffnet uns die Möglichkeit, unsere gerade erst eröffnete Debatte und unser transnationales Zusammenkommen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu verbreitern und in Fahrt zu bringen: von den klassischen Fragen der „Arbeitslosigkeit“ zu allen Formen der Ausbeutung der Gesellschaft und des Gemeinsamen, der commons. Wir können erfahren und erfahrbar machen, dass die Prozesse der privaten Aneignung des Gemeinsamen verschiedene Ausprägungen desselben zeitgenössischen Kapitalismus sind: von der Zerstörung der öffentlichen Dienste wie der Gesundheitsversorgung und der Bildung bis zu den großen Infrastrukturprojekten, die ganze Territorien und Umwelten verwüsten, von den Genmanipulationen bis zur Kontrolle des Wissens als den weit gespanntesten Grenzen der Beherrschung. Eröffnen wir sogar und gerade auf diesem Gelände Pfade und Bahnen des Kämpfens, setzen wir erste Zeichen, wo und wie eine wirkliche Systemalternative geschaffen werden kann.


Im Schutt und im zurückgelassenen Bruchstein der europäischen Linken finden wir das Puzzle eines sich neu entwickelnden gesellschaftlichen Antagonismus, eines gesellschaftlichen Widerspruchs zur herrschenden Ordnung. Dieser Antagonismus sieht seine Aufgabe im Experiment der Schaffung neuer Beziehungen und Verhältnisse, das heißt im Zusammensetzen eines neuen gesellschaftlichen Protagonismus. Es geht um eine Zusammensetzung-im-Prozess und in transnationaler Dimension, für die wir die Kunst praktischer Synthesen zu lernen haben. Die Verschiedenartigkeit zeitgenössischer Gesellschaft folgt der Vervielfältigung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Deshalb wissen wir eines mit Sicherheit: dass es die eine richtige Form nicht geben wird. Wir müssen die Punkte des Bezuges aufeinander und der Überlappungen finden, um neue hybride Räume zu öffnen: Räume, die uns Durchkreuzungen erlauben, in denen wir viele Fund- und Bruchstücke zusammenbringen können, um eine Gegenmacht aufzubauen, die nicht nur in der Lage ist, die herrschende Ordnung antagonistisch aufzukündigen, sondern die zugleich in der Lage sein wird, der Kommune protagonistisch Macht zu verleihen. Auf diese Weise und auf diesem Weg – einer Weise, die wir schon erdenken, und einem Weg, den wir schon erkunden und den gemeinsam zu beschreiten wir erst lernen müssen – wollen wir mit vielen anderen zusammentreffen.

 

Die voranstehenden Diskussionspunkte sind erste Ausgangspunkte. Fangen wir mit uns selbst an, mit den ersten Schritten unseres Austauschs und mit der Übereinkunft, einen Vorschlag zu machen, der allen offen steht, die ihn zu dem ihren machen wollen. Mit diesem Vorschlag laden wir – die Interventionistische Linke (D) und die Koalition der Sozialen Zentren (I) – alle Interessierten zur gemeinsamen Diskussion und zur Bildung einer breiten Allianz ein, die gemeinsam nach Turin und in den kommenden Herbst als die Jahreszeit der Kämpfe mobilisieren wird.


Avanti, Genoss_innen! Und, kapitalistische Eliten Europas: „Winter Is Coming“... 

 

Mai 2014. Kontaktiert uns: thecommuneofeurope@gmail.com

 

 

The Commune of Europe

 

Towards the July mobilization to Turin and the autumnal “season of struggle” for European social movements

 

As Interventionistische Linke (D) and coalition of Social Centers (I) we met in the squares and streets throughout Europe, when – happily with many others – we began to discuss and struggle not only in narrow spaces defined by the boundaries of nation-states, but in and towards a real shared transnational perspective. Of course internationalism is part of our “heritage”, filled with successes and failures from which we must learn.

The role of the left in the movements of the plazas, the fights for democracy, was marked by new relationships. The assemblies of the squares, the solidarity platforms and social networks and the new attempts to destitute centers of power and create a new common existence have breathed life into our struggles. While learning how to translate these experiences into our imaginaries and practices, we ask how to do so with view to the European scale.

The crisis has resulted in a situation in which the left can and must once again act for real social transformation. Since we met in the days of Blockupy Frankfurt 2012, we have felt the pressing need to experiment a new way of acting together socially and politically, assuming constitutively a European perspective for our militant subjectivity. Building on shared experiences in which many others have participated, this is our attempt to synthesize a few points, in order to continue the discussion with many and many more. A transnational perspective as a new way to breathe together.

This leap to the transnational can also be considered one effect of seven years of crisis, or rather of the “becoming crisis” of financial capitalism. Crisis is systemic, but as we have seen this fact does not imply the “collapse” of capitalism. Crisis is economic and ecological. It is about social reproduction: energy sources and supplies, food production and consumption chains, and not least questions of care. We must consider all these aspects if we want to combat the totality of old and new forms of capitalist exploitation.

 

Crisis is certainly global, but it takes ground in highly differentiated ways around the planet. Crisis is “territorialized” – and for us crisis has exploited and intensified the scale of Europe, in the so-called Euro-crisis. The European scale is complex and controversial. It is not our intention here to analyze it in depth, but rather to name a few of its consequences. As Europe on the whole continues to benefit from exploitation of and in the Global South, the capitalistic management of crisis by European oligarchies amounts to a general restructuring of the social organization of labor and the distribution of socially-produced wealth within Europe, strengthening the extractive character of the current productive and reproductive model, against a social cooperation that continues to reach higher levels of autonomy and self-determination. This attack on sociality is the reality of what they call “austerity policies”.

This happens in a more general framework of attempts to establish “new order” in the unbalanced power relationships between classes, between capital and living labor. The other face of this dynamic is an increasing “world disorder” in the geopolitical balance between old and new imperial powers, as each one tries to carve out spaces of hegemony in a world that no longer recognizes a single-pole of imperium. Instead of a “peaceful multipolar governance”, as they called their proxy-war rule of the past, crisis has brought us to the end of the “American era” and the beginning of a period with new, multiple centers of global capitalism and the return of a muscular “policy of gunners”, settings in which “security” and war, police and army, are blurred, as the Ukranian case so unfortunately shows.

No doubt we are living in an “era of revolutions”. These times are marked by deep, rapid and unexpected transformations of high ambivalence. We must seize this time and turn it into a new time of revolution, a present time for radical social and political change, belonging to all those rejecting the oppression of capitalistic exploitation and command, to all those creating the relations we need to commonly manage our resources, our communities, our cooperation. Our ground is not that of idealistic representations, ideological options or “scientific” solutions, but that of social movements, of learning and teaching each other as we experiment, concretely fighting for better and equal living conditions as we respect singularities and become common in our struggle. This is an immediately political perspective. We call to create simultaneously antagonistic and protagonistic forces in a permanent constituent horizon on a transnational level. Social self-organization and widespread and effective practices of conflict must be able to speak a language that is understandable and shared by multitudes of people across the many kinds of borders that separate us. It remains our further task to indicate with precision the enemies to contend with, the relationships of submission to subvert, but also the perspectives of liberation, the new conditions of equality to conquer, the common alternative to collectively build.

Europe is taking place. And as such, the European scale has become one of our critical social and political spaces of action. We know that the imperial Europe of the ruling order is a slap in the face. That this Europe is destroying the world is a diagnosis from which all politics must depart today. So we must be very careful in defining what we intend as “Europe”. We reject the institutional borders of the European Union: the EU border regime is a violent and deadly means of controlling and disciplining living labor, mobilizing and re-instating sickly racist imaginaries that form an integral part of the historical and cultural construct of Europe, implementing capitalist project of regulation within a new international division of labor. We fight from within against this project, on the side and together with those migrants and refugees who come to Europe from around the world in search of a better life – or simply survival. The struggle for the freedom of movement is not marginal or additional, but central to our task. Our Europe is a permanent battlefield and an opportunity. It is a changing topography of social tensions and conflicts illuminated by the glimmering light of a possible sociality, less than reality but more than a dream. It is oriented towards the South and East, with the attitude to break and to overpass all the given borders by practicing solidarity. It is present but cannot be generalized. Dominant Europe is “our production and our alienation”, our Europe is not only a space of struggle to traverse, but also a critical horizon of a practice of the common: the Commune of Europe!

In this renewed spirit we move together through the European days of action May 15-25th, towards the transnational mobilization against the EU summit in Turin on Youth Unemployment this July 11th. For us Turin is not a point of arrival, but the potential opening from below of a "semester of struggle" of constituent social movements across Europe. Together towards an autumn that, for the first time, could be a season of widespread and multiple social conflicts on a continental scale, focusing again on “Day X”, the convergence to block the inauguration of the new European Central Bank tower in Frankfurt.

Berlin is the new Rome. With its “consensual lack of alternatives” the Grand Coalition government in Germany, in fact exercising hegemony on behalf of capitalist oligarchies, is the de facto leader of EU institutions in a climate shadowed by growing consensus for the most reactionary and nationalist forces. We all know that the role of the European Parliament is minute, compared to the Troika and the dynamics of inter-governmental relations. While we eagerly await the results of attempts to build on social movements in the European elections, the critical factor of the elections does not center on the question of what party sends how many representatives to parliament. The European elections are important as evidence of our political environment – as a kind of social referendum, especially in Greece, through which new political spaces could emerge that allow for a possible alternative to the lack of alternatives. In saying this, we affirm that a real reversal in the trends dominant in recent years in Europe can only come through building strong and diffused social counter-powers. It is in movement that new forms of social protagonism can emerge.

From this point of view, the Heads of EU Governments will face one of the most pressing issues in Turin. We must be clear about this. We assert that the critical aspect of “unemployment” is not to be found in the two-digit statistics that track the dramatic level of social misery in especially Southern Europe. Instead, we must investigate the relationship between capital and living labor on the European scale with the weapons of criticism and cross it through with a new arsenal of political and organizational proposals. We must arm ourselves with offers that deal with a much more detailed and complex phenomenon of the new social composition of living labor, of its contradictions and potentialities of struggle and of contemporary forms of governance in the capitalist labor market. Our understanding and proposals must speak to us everywhere in Europe. The cold numbers of the statistics hide a more profound and long-term process of precarization, not only with respect to wage relationships and corporatist contracts as well as legal status, used as a tool of governance to control labor. We must tackle the precarization of life forms themselves, invested by command as a pervasive exercise of bio-power, and rooted to a much greater extent in financial credit-debt relations than “factory regulations”. We must investigate and combat all forms of old and new blackmail and constraint to exploited labor: from mini-jobs to intermittency, from temporary contracts to irregular and clandestine work, from undervalued domestic labor to un-valued affective toil and housework. Instead we must demand the guarantee of reddito, an Italian term which in German means social infrastructure and encompasses not only a basic income, but also the right to housing, food and healthcare, mobility and access to communication, universal and unconditional.

As we spread this struggle on the European scale, we need to create social, political, militant and discursive spaces and networks for a new transnational social composition. This requires us to consider how to create a mobile zone of contact beyond “tourism” and “Erasmus” – a community of transnational movements seeking commonality, in motion, creating knowledge and awareness of the simultaneous heterogeneities and commonalities of how crisis grounds itself across Europe, creating different spaces and temporalities that make it difficult for us to join together. We seek an open and committed way of growing, learning and acting in common, across and beyond the different logics of regional and national contexts. We seek to investigate our opportunity. Europe is for the movements not only a problem of different languages, social landscapes and everyday acts, of distance and proximity; it is the vanishing point of the self. What brings us together and what is the direction of our movement?

How to create proposals that are translatable across the heterogeneous space of Europe? Let us briefly consider, as paradigmatic, one of our own local contexts. In Germany we have seen large portions of the population denounce class solidarity, voting with “cynical reason” for those they believe will protect them in their disintegrating social insecurity. In fact Austerity is the new German social model, implemented as Agenda 2010 and now imposed across Europe. Yet German politics also organizes its public endorsement in Germany by distributing minimal wealth along very individualistic specifications, so as to keep people both alienated from one another and minimally dependent on the state machine. Fear of falling into the abyss and the experience of helplessness are contorted into a nationalistic laboratory of fury, chauvinism and reactionary hostility of the “insecured” towards those who are even more insecured. We see this pattern in the mobilization of all “normalized relations” – in racisms, sexisms, heteronormativities, patterns we must also be aware of in our own organizing and practices. How to translate this fear into commonality?

This transnational growing together extends across social sectors, and the summit in Turin is our chance to broaden and enliven our ongoing debate: from the classical question of “unemployment” to all modes of exploitation of the society and the commons. Showing how all the processes of private appropriation of what is common are various articulations of the same contemporary capitalism: from the destruction of public services like health and education, to big infrastructural projects devastating territories and environment, from genetic manipulations to control of knowledge as new frontiers of domination. In developing appropriate pathways of struggle on these grounds we can indicate the foundations of a real systemic alternative.

In the former rubble of a European left movement a puzzle of a new social antagonism is developing, one that sees in every instant of its task the experimental creation of new relations founded in common sociality, the piecing-together of protagonism. It is a composition-in-process, and in transnational terms we need to learn the art of practical synthesis. The heterogeneity of contemporary society is marked by a multiplication of relations. We are sure there is no one right form. We need to discover points of relation and overlap, to create new hybrid spaces that allow us to crisscross through many things, bringing together parts and pieces at many intersections, and build a counter-power that is capable not only of denouncing the ruling order, but taking power to the Commune. In this way, a way we are starting to imagine and experience, but which we still must practice and create with many, we hope to join together with many.

These previous discussion points are a point of departure. Let's start with ourselves, and with the first steps of our exchange and the common agreement between us to launch a proposal open to all those concerned. We - interventionistische Linke (D) and coalition of Social Centers (I) – invite those interested to build together on these bases and with this spirit a wider coalition that discusses together and practically animates the mobilization towards Turin and into the autumn.

Avanti, comrades! And, for the capitalist élite of Europe: “winter is coming”!

Contact us: thecommuneofeurope@gmail.com

Termindaten
Stadt: 
Berlin