Ich glaub, ich seh Gespenster

Druckversion
Die Linke und wo es sonst noch spukt

Den Artikel "Ich glaub, ich seh Gespenster" im kürzlich erscheinen zweiten Teil der arranca!-Doppelnummer "Wie jetzt? Transformationsstrategien II" möchten wir euch besonders ans Herz legen: Er ist das vorläufige Resultat der Debatten bei FelS über Zustand und Perspektiven der radikalen Linken. In dem Artikel finden sich eine Reihe von Thesen u.a. über die Auswirkungen von Realsozialismus und Neoliberalismus, über vergangene und aktuelle Praktiken im Bereich Soziale Kämpfe und außerdem geht es um die Notwendigkeit von Sinn, Würde und gemeinsamen Handeln zur Herstellung einer konkreten Utopie. Schließlich wird auch noch eine Antwort zur allseits beliebten Gretchenfrage gegeben: Reform oder Revolution? Wir freuen uns natürlich über Kritik und andere Kommentare!

Ich glaub, ich seh Gespenster -Die Linke und wo es sonst noch spukt

aus: arranca! #42

Spot 1: Die Krise lernt laufen. Knapp 21 Monate sind vergangen, seit die Dominowelt des Finanzkapitalismus ins Wanken geriet. Noch im Herbst 2008 waren Notenbanker_innen, neoliberale Vordenker_innen, Manager_innen von Investmentfonds in heller Aufregung. Josef Ackermann, DAS Gesicht des Bankensektors in Deutschland, erklärte öffentlich, er habe das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes verloren. Wenig später wurde eines der größten politischen Tabus der vergangenen Jahrzehnte gebrochen: Der Staat schoss Abermilliarden in den Bankensektor, legte Konjunkturpakete auf, machte Schulden, bezuschusste Unternehmen, steuerte, protegierte und regulierte, was das Zeug hielt – weltweit. Der Spiegel druckte den Nachruf auf das kapitalistische „Prinzip Gier“, das unsere Welt in die Krise gestürzt habe.

Ein Jahr später ist, als wäre nichts geschehen. Eine liberal-konservative Koalition hat die Bundestagswahl gewonnen – nicht trotz, sondern mit der Ankündigung massiver Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen. Die Idee, dass die Wirtschaft brummt, wenn die Kosten des Kapitals gesenkt werden, scheint lebendiger denn je. Dass sich der Staat das verschenkte Geld und die Kosten der Bankenrettung irgendwo wiederholen muss, ist auch der größten politischen Abstinenzler_in klar. Bislang hat sich nur in Griechenland und Island Protest gegen große Sparpakete gerührt. In Deutschland und den meisten europäischen Ländern ist es weitgehend still geblieben. Statt zu Demonstrationen mobilisiert die städtische Bevölkerung zu Massen-Karaoke (London, Hamburg), Riesen-Flashmobs (Chicago) und Kissen- oder Schneeballschlachten mit tausenden Teilnehmer_innen (Berlin und über hundert Städte auf der ganzen Welt). „Tonight I‘m gonna party like it‘s 1929!“ Der Ruf „Menschen vor Profite“, der in den Jahren zuvor Zehntausende gegen die Alleinherrschaft des Neoliberalismus auf die Straßen brachte, ist verstummt.?

Spot 2: Der Eisbär kriegt warme Füße – denn die Polkappen schmelzen. Dass der Klimawandel ein Ergebnis des kapitalistischen Wachstumszwangs ist, bestreitet ernsthaft niemand mehr. Doch als im Dezember 2009 die UN in Kopenhagen zusammenkam, um Klimaschutz-Maßnahmen zu beschließen, passierte, entgegen allen zuvor geschürten Erwartungen, weniger als nichts. Der Protest einiger tausend gegen diese Tragödie wurde von der Polizei erstickt. Zur selben Zeit strömten Millionen in die Kinosäle, um sich von der Revolutionierung des Films durch 3D-Technik zu überzeugen. Der Plot des teuersten Films aller Zeiten: Ein mystisches Naturvolk auf einem fernen Planeten verteidigt seine Lebenswelt erfolgreich gegen die Menschen, die die grüne Oase im All aus Profitgier zu verwüsten drohen.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise erwarten viele Linke das Aufflammen von Protest. Dass zugleich die Klima-Krise auf die Tagesordnung drängt, verstärkt diese Erwartung noch. Die Übel des liberalen Kapitalismus treten deutlich hervor; auch seine Legitimationsgrundlage ist zerbröckelt, der Glaube an seine gestalterischen Fähigkeiten auf breiter Front zerstört. Warum also in Dreiteufelsnamen rührt sich nichts? Warum ist nicht nur die Linke, sondern die gesamte (nord-westliche) Gesellschaft wie erstarrt?

(weiterlesen und kommentieren auf den Seiten der arranca!)