In Bewegung bleiben - Für Bewegung sorgen

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Redebeitrag auf der Demo "Von Göteburg nach Genua" (20.07.2003)

Seit dem Ende der 90er Jahre sehen sich die Gipfel von Regierungen der Industriestaaten und internationaler Institutionen mit wachsendem Widerstand konfrontiert. Wie sich gerade wieder im Juni bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Evian gezeigt hat, konnten weder die gezielte, brutale Repression während den Gipfelprotesten noch die neu geschaffene Frontstellung nach dem 11.09. gegen den Terrorismus die Dynamik der Bewegung brechen.

Im Unterschied zu früheren sozialen Bewegungen ist die globalisierungskritische schon von ihrem Ausgangspunkt her internationalistisch. Neben der organisatorischen Vernetzung drückt sich dies auch ihrer inhaltlichen Ausrichtung aus, die Regierungen der Industriestaaten und ihre Institutionen wie IMF, WEF etc. für das globale Ausbeutungsverhältnis verantwortlich macht. Der Protest hat sich also wie das Kapital von der Kategorie Nation gelöst. Ein weiteres, neues Merkmal ist die vielzitierte Pluralität der Bewegung. Diese zeigt sich sowohl in einer Vielzahl von unterschiedlichen Themenspektren als auch politischen Ansätzen, die bei den Gipfelprotesten auf einen gemeinsamen Gegner gerichtet werden. Strategien der Herrschenden, die darauf abzielen von dieser

Heterogenität zu profitieren und Teile der Bewegung zu vereinnahmen, sind bisher zumindest weitgehend fehlgeschlagen. Es bestehen zwar unterschiedliche Vorstellungen über Strategien und Aktionsformen, wie z.B. beim Aufruf zu Grossdemonstrationen vs. Gipfelverhinderung des mittels Blockaden zu sehen ist. Doch wird durch die Wahl von Protestformen eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber der bestehenden Ordnung ausgedrückt, die als gemeinsamer inhaltlicher Konsens eine Spaltung noch weitestgehend zu verhindern mochte.

Mit der wachsenden Stärke des Protests wurde das politische Handeln nicht mehr nur an den Zusammenkünften der Mächtigen ausgerichtet, sondern auch eigene, inhaltliche Events veranstaltet. Diese Sozialforen hatten auch eine Bedeutung für die weitere politische Praxis. So gingen vom ESF in Florenz massgebliche Impulse für den globalen Anti-Kriegs-Protest vom 15. Februar aus.

Seit dem Ende der Ost-West-Systemkonkurrenz und der damit einhergehenden tiefen Depression der traditionellen wie Neuen Linken entstand mit dem globalisierungskritischen Protest erstmals wieder eine kontinuierliche Massenbewegung, die ein offensives Vorgehen gegen die globale Restrukturierung kapitalistischer Herrschaft ermöglicht.

Solch ein neues Aufflackern von massivem, sozialem Protest musste jedoch mit scharfer Gegenreaktion des Repressionsapparates rechnen. Dies wurde bei den Protesten in Göteborg und Genua in Extremform sichtbar. Solidarische Strukturen zur Unterstützung von Betroffenen und Eingeknasteten sind deshalb unverzichtbarer Teil linker, politischer Praxis und notwendiger denn je. Den Fokus nach Massenmobilisierung wie Genua aber auf die staatliche Repression zu richten, läuft Gefahr den Protest im Nachhinein als politischen Misserfolg zu verkennen und die Bewegung in einer passiven Opferrolle erscheinen zu lassen.

Dabei war gerade Genua ein vorläufiger Höhepunkt einer offensiven, linken Politik. Auch der Blick auf eine nach vorwärts gerichtete Debatte, wie die Weltwirtschaftsordnung weiter angegriffen und delegitimiert werden kann, kann so versperrt werden.

Ein Zweck der angewandten Repression ist die Spaltung. Diese ist trotz der Heterogenität der Bewegung in den meisten Ländern gescheitert. Diese Einigkeit in der Pluralität ist nur möglich, wenn sich die verschiedenen Strömungen auf gemeinsame Lernprozesse einlassen, sich nicht in selbstbezogenen Debatten gegenseitig bekämpfen und sich als Bewegung um die von Repression Betroffenen kümmern. Dass die Bewegung gerade in Deutschland am schwächsten ist, liegt nicht zuletzt an der hierzulande eifrig betriebenen Abgrenzungspolitik und der unsäglichen Gewaltdebatte.

Wir sehen es als Aufgabe der radikalen Linken in eine soziale Bewegung hinein zu intervenieren und sie nicht von einem elitären Standpunkt aus, der nach politischer Reinheit verlangt, abzulehnen. Wer eine radikale gesellschaftliche Veränderung anstrebt, benötigt eine bewegungsorientierte Praxis. Eine intervenierende Haltung heisst konkret, dass die symbolischen Gipfelproteste mit einer lokalen Praxis verknüpft werden müssen. Es darf nicht bei Gipfelhüpfen bleiben, sondern die Dynamik der Bewegung soll in die Kämpfe hier vor Ort gegen imperiale Kriege oder die Agenda 2010 übertragen werden. In diesem Sinne:

Für eine linke Strömung, lokal, global und solidarisch.