Die Agora99 als wichtige Vernetzung europäisch-mediteraner Bewegungen

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Ein Bericht zum Lernprozess, Kapitalismus mit Demokratie zu bekämpfen

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Die Agora99, das euro-mediterrane Treffen über Schulden, Demokratie und Globale Rechte, fand vom 1.-3. November in Rom statt. Ein Jahr nach der ersten Agora99 in Madrid in November 2012 wurde weiter an dem Ziel gearbeitet, einen breiten und gemeinsamen Prozess in Richtung eines Europas der Commons. Neben den wichtigen Mobilisierungen und Aktionstagen, die überall in Europa stattfinden, gibt es das Bedürfnis, Räume zu öffnen für eine gemeinsame Diskussion über die Transformation des euro-mediterranen Raums. Obwohl der euro-mediterrane Raum zutiefst von Austeritätspolitik, Verarmung, Verlust sozialer Rechte und steigendem Rassismus betroffen ist, ist die zerbröckelnde Festung Europa nicht nur ein Krisengebiet, welches von der Troika als Geisel gehalten wird. Europa ist gerade auch ein sich permanent verändernder Raum, welchen die vielfältigen, gleichzeitig stattfindenden Kämpfe für soziale Rechte und Demokratie am Leben erhalten und damit eine Alternativen schaffen zur totalen Unterwerfung unter Schulden. Die Interventionistische Linke (IL) ist Teil des offenen transnationalen Netzwerks, das die Agora99 seit zwei Jahren vorbereitet. Dieses Jahr nahm eine Delegation der IL wieder an der Agora99 teil.

In sehr intensiven Workshops wurde zu Kämpfen um Migration und Asyl, Wohnraum, Gesundheit, Technopolitik und den konstituierenden Prozess gearbeitet. Neue Plattformen wurden gegründet, existierende Netzwerke verbreitet, Verabredungen für weitere Treffen gemacht und mögliche Kampagnen-Ideen ausgetauscht. Der Vorschlag, koordinierte transnationale Aktionen im kommenden Mai vor den EU-Wahlen, wurde in vielen Rahmen positiv diskutiert.

Die zweite Agora99 fing mit einer Diskussion zur Frage "Welche gemeinsamen Kämpfe in Europa?" an. Teilnehmende aus Spanien, Polen, Griechenland, Deutschland, Großbritannien, Portugal, den Niederlanden, Österreich, Bulgarien, Rumänien und aus vielen Regionen Italiens diskutierten Europa als "Theater einer unlösbaren Spannung zwischen Kapitalismus und Demokratie", das mit einer "Krise der Krisenverwaltung" konfrontiert ist - und als der "Mindest-Raum" in dem gegenwärtige Kämpfe gedacht und geführt werden können. Kritische Reflektionen über Grenzen und Peripherien wurden diskutiert: Das Konzept eines Europas mit drei Peripherien - dem Mittelmeerraum, dem Balkanraum und dem Osten - wurde kontrovers verhandelt und es wurde angemerkt, dass Grenzen, die Marginalität und ökonomische Not produzieren zum Beispiel auch durch die urbanen Räume Nordeuropas verlaufen.

Als Kern der Agora99 wurden Workshops entlang von den drei thematischen Achsen Schulden, Demokratie und soziale Rechte organisiert. Am Freitag Abend wurde die Demokratie-Achse mit einem Workshop zu Technopolitik eröffnet. Der Workshop fokussierte die Rolle von Technologie in der "vernetzten Gesellschaft". Die Präsentation aus Spanien stellte das Verhältnis zwischen Bewegungen auf der Straße und im Internet in den frühen Tagen der 15M-Bewegung und darüber hinaus dar. Die zentrale Rolle digitaler Netzwerke für die Sammlung und Verteilung von Informationen und Affekten ist gleichzeitig eine Brille, um die Entwicklung von Bewegungen relational zu verstehen.

Die Workshops in der Demokratie-Achse am Samstag konzentrierten sich neben der Frage von Vernetzung und technopolitischer Werkzeuge auch auf die Ungleichmäßigkeiten des europäischen Raums und wie Selbstorganisierung die Hierarchien des EU-Projekts überwinden könnte. Ein Workshop über visuelle Kommunikation diskutierte die prekäre Situation von KünstlerInnen und DesignerInnen und wie eine gemeinsame visuelle Sprache transnationalen Bewegungen weiterbringen könnte. In dem Workshop zu Blockupy Frankfurt wurde über die Frage gebrainstormt, wie auf die Rolle der Europäischen Zentralbank als politische Institution aufmerksam gemacht werden könnte. Die Perspektive ist eine große Mobilisierung zur Eröffnung des neuen EZB-Turms in Frankfurt - einen von den Prekarisierten bezahlten Palast des Finanzkapitalismus. Der Vorschlag, eine Woche dezentraler Aktionen vor der EU-Wahlen nächsten Mai wurde im Blockupy-und mehreren anderen Workshops positiv diskutiert.

In der Schulden-Achse drehten sich die Workshops um prekarisierte Arbeitsverhältnisse und Organisierung und die post-Bologna Situation für Studierende und Arbeitende in der vermarkteten Universität. ArbeiterInnen und UnterstützerInnen von besetzten Fabriken bildeten ein transnationales Netzwerk besetzter Fabriken in Griechenland, Italien und Frankreich. Ein vierter Workshop diskutierte die Idee einer satirischen "Troika Partei"-Kampagne, um Aufmerksamkeit auf die Illegitimität der EU-Governance vor den EU-Wahlen zu erregen.

Die Workshops in der Achse Soziale Rechte waren sehr gut besucht und intensiv. Erfahrungen aus den Kämpfen No Grande Navi (dem Kampf gegen große Kreuzfahrtschiffe in Venedig), Save Rosa Montana (dem Kampf gegen das Tagebaugoldbergwerksprojekt und Landenteignung in Rumänien) und SOS Halkidiki (dem Kampf gegen den Goldabbau im Tagebau und Privatisierung öffentlicher Güter in der Nähe von Thessaloniki) wurden ausgetauscht, um Strategien gegen verheerende Großprojekte zu diskutieren - und um herauszufinden, wie diese mit Selbstverwaltung und Commons ersetzt werden können. Über ein dutzend selbstverwaltete Gesundheitskliniken und -kämpfen trafen sich im Workshop über Gesundheit und Selbstorganisierung und diskutierten über eine Vernetzungs-Plattform von Gesundheitskämpfen in Europa. In anderen Workshops wurden Erfahrungen von Kämpfen um das Recht auf Stadt ausgetauscht In einem Workshop über Wohnraumkämpfe kamen die gerade stärker werdende Wohnraumbewegung in Italien zusammen mit der kräftigen PAH (Plattform der Betroffenen der Hypotheke). Ein Workshop über "Migration Europe" vernetzte Kämpfe gegen das Dublin-Regime aus ganze Europa und diskutierte wie der Kampf gegen das existierende Grenz- und Staatsbürgerschaftsregime in gemeinsamen Kämpfen um Demokratie und soziale Rechte vertieft werden kann.

Die Demokratie-Achse kam Samstag Abend mit einem Workshop zum konstituierenden Prozess zum Abschluss. Es wurde eine Charta für Demokratie vorgestellt, die in der Bewegung aus Spanien entwickelt wurde. Die transnationale Diskussion zeigte, dass der konstituierende Prozess eine Perspektive von Bewegungen und Kämpfen in Spanien, Griechenland, Italien, Polen, Rumänien und Deutschland ist - und dass es auch sehr unterschiedliche Vorstellung davon gibt, was der konstituierende Prozess bedeutet. Der Input aus der antiautoritären Bewegung in Griechenland fokussierte zum Beispiel auf den konstituierenden Prozess als die Entwicklung von Strukturen der Selbstverwaltung von Produktion und Verteilung. Dagegen betrachtete der Input aus Spanien eine Intervention ins Wahlsystem, um dieses zu destabilisieren, als zentraler Bestandteil des konstituierenden Prozesses.

Die Agora99 ist an sich ein Experiment auf der Suche nach Methoden und Werkzeugen für Arbeit im transnationalen Raum der Bewegungen. Für die TeilnehmerInnen der Agora99 in Rom, die auch letztes Jahr bei der ersten Agora99 in Madrid waren, war es deutlich dass im vergangenen Jahr konkrete Schritte in Richtung einer gemeinsamen Sprache gemacht wurden. Wobei multiple Verständnisse die Diskussion bereichern, ermöglichen gemeinsame Bezugspunkte das Teilen von Erfahrungen und Ideen und deren Einbindung in dem transnationalen Rahmen der Agora99: Demokratie, konstituierender Prozess sowie wiederangeeignete und inkludierende Begriffe von Bürgerschaft und Bürgerrechten. Darüber hinaus gehörte die Verbindung zwischen der Richtungsforderung von sozialen Rechten für alle und der Schaffung von Commons zu den gemeinsamen Bezugspunkten.

Die Agora99 ist, neben anderen, ein transnationaler Raum in dem Bewegungen zusammen kommen. Viele der TeilnehmerInnen der Agora99 werden sich auf der Europäischen Blockupy Aktionskonferenz vom 22.-24.11. in Frankfurt wiedersehen. Die Idee gemeinsamer Aktionen vor den EU-Wahlen nächstes Jahr wird dort weiter diskutiert ebenso wie die Herausforderungen und Chancen eine große Mobilisierung zur Eröffnung des neuen EZB-Turms in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 zu organisieren.

 


english

 

Agora99 – a critical communication and networking space of euro-meditteranean movements


A report on the learning process to fight capitalism with democracy

Agora99, the euro-mediterranean meeting on debt, democracy and social rights, took place from November 1-3 in Rome. One year after the first Agora99 in Madrid in November 2012 work was continued in a broad and common process towards a Europe of the commons. Besides important mobilizations and action days taking place all over Europe, there is a need for a common discussion on the transformation of the euro-mediterranean space. Although this space is deeply affected by austerity policies, impoverishment and the loss of social rights and rising racism, the crumbling fortress Europe is not only a crisis zone held hostage by the troika. Europe at present is also a permanently changing space kept alive by multiple struggles for social rights and democracy, which are creating alternatives to the total subordination to debt. The Interventionist Left (IL) is part of the open, transnational network coordinating the Agora99 for the past two years. Once again this year a delegation from the IL participated in the Agora.

In very intense workshops discussions took place on struggles over migration and asylum, housing, healthcare, technopolitics and constituent process. New platforms were created, existing networks expanded, plans for further meetings made and possible campaign ideas exchanged. The proposal to coordinate transnational actions before the EU elections next May was positively discussed in multiple frameworks.

The second Agora99 began with a roundtable discussion "Which common struggles in Europe?" Participants from Spain, Poland, Greece, Turkey, Germany, the UK, Portugal, the Netherlands, Austria, Bulgaria, Romania and from all over Italy discussed Europe as a "theatre of an unresolvable tension between capitalism and democracy" facing a "crisis of crisis management" - and a "minimum space" for conceiving and fighting present struggles. Critical reflections were shared about borders and peripheries: the concept of three peripheries of Europe, including the Mediterranean, the Balkan and the Eastern, was complicated by inputs on the borders that cut through, for example, the urban areas of northern Europe to produce marginality and economic distress.

As the core of the Agora99, workshops were organized along the thematic axes of debt, democracy and rights. Opening the democracy axis, a workshop on technopolitics Friday evening set the stage for the coming days of discussion. Zeroing in on the role of technology in the "networked society", the presentation from Spain illustrated the relation between the movements on the streets and in the web in the early days of the 15M movement and beyond. The centrality of online networks for collecting and distributing information and affects is simultaneously a lens for understanding how movements develop relationally.

Multiple workshops in the democracy axis on Saturday similarly focused on networking and technopolitical tools, but also of the unevenness of the European space and how to self-organize to overcome the hierarchies of the EU project. The workshop on Blockupy Frankfurt included brainstorming about how to better call attention to the role of the European Central Bank as a political institution, with the perspective of a large mobilization to the opening of the new ECB tower - as an elite palace paid for by the precarized - in Frankfurt. The proposal to organize a decentral week of protest before the EU elections was discussed in the Blockupy workshop and several others. A workshop on visual languages discussed the precarious situation of artists and designers and how visual contributions can be made to movements.

In the debt axis, the workshops centered on precarious work and organization, the post-Bologna situation for students and workers in the corporatized university. Workers and support structures of occupied factories deepened an emerging network between occupied factories in Greece, Italy and France, and a fourth workshop discussed an action to create a "Troika Party" campaign to call attention to the illegitimacy of European governance before the EU elections in spring 2014.

Workshops in the rights axis were very well-visited and intense. Experiences of the struggles of No Grande Navi, fighting against large ships in Venice, Save Rosia Montana, the struggle against open-pit gold mining and land expropration in Romania, and SOS Halkidiki, the struggle against the plunder of public goods and the massive gold mining project near Thessaloniki, were shared to discuss strategies for fighting against extractive infrastructure and resource projects - and to replace these with self-government of the commons. Over a dozen self-managed health clinics and health struggles met in the workshop on healthcare and self-organization and discussed the creation of a platform and new online platform for health struggles across Europe. Other workshops shared experiences in right to the city struggles and cultural production in the city, as well as on the struggle for housing rights, which brought together the housing movement currently gaining strength in Italy with the political force of the PAH (Platform of those affected by mortgage) from Spain. Finally, a workshop on 'Migrating Europe' linked struggles against the Dublin regime from across Europe and discussed how to better fight against the existing border and citizenship regime in common struggles for democracy and social rights.

The democracy axis closed on Saturday with a workshop on constituent process, in which a charter for democracy that has been developed in Spain was presented to the assembly. The transnational discussion showed that constituent process is a perspective in struggles in Spain, Greece, Italy, Poland, Romania and Germany - and that there are diverse understandings of what it means. The input from the antiauthoritarian movement in Greece focused on constituent process as the development of self-management structures of production and distribution, for example, whereas the input from Spain discussed intervening in the electoral system in order to destabilize it as a critical component of a constituent process.

The Agora99 itself is an experiment in search of the methods and tools for working in a transnational political space of movements. For participants in the Agora99 in Rome who had also been at the previous Agora99 last November in Madrid, it was apparent that tangible steps had been made towards a common language over the past year. While multiple understandings enrich the discussion, common points of reference allow for experiences and ideas to be shared and developed in the transnational framework of Agora99 - democracy, constituent process, as well as new and inclusive concepts of citizenship and the connection between claiming social rights for all and the commons were among the shared terms discussed.

The Agora99 is one transnational space for movements to come together, existing together with others. Many participants of the Agora99 will meet again at the Blockupy European Action Conference from November 22-24 in Frankfurt. The idea of common actions before the EU elections next year will be further discussed at the Blockupy conference, as well as the challenge and opportunity of longer-term planning towards a mobilization towards the opening of the European Central Bank during the second half of 2014.